SEGLERVEREINIGUNG MAMMERN
Wir segeln aus Leidenschaft
, Schulze Kerstin

Europameisterschaft der 6mR Yachten in La Trinité sur Mer 2018

Auf der 6mR Yacht SUI74 ist dem Team vom Bodensee mit Clubmitglied Kerstin Schulze der Titelgewinn gelungen.

Bilder: JM Liot, Fiona Brown, Ingo Schulze, Kerstin Schulze
 
Dabei hat doch alles ganz harmlos mit einem Aushang bei der Bodenseewoche 2017 angefangen. „Mitsegelgelegenheit gesucht“  heftete ich damals am Nachmittag vor dem Beginn der Regatten ans Schwarze Brett direkt neben die NOR. Im Kleingedruckten nannte ich neben meiner Leidenschaft für 20er Jollenkreuzer und Folkeboote  natürlich auch meine Erfol… ähm Erfahrungen bei Fireball-Regatten.
 
Erst spät am Abend läutete das Telefon und ich wurde gebeten, mich Freitag morgen um 9:00 Uhr auf einer blauen modernen 6mR Yacht namens Courage einzufinden. „Das sieht professionell aus“ stellte ich fest, als ich am nächsten Tag die Bekanntschaft mit der teambekleideten Crew dieser bis an die Mastspitze „bewaffneten“ Regattayacht machte. Die Logos auf den Jacken und Hosen warfen ihre Schatten voraus auf die Weltmeisterschaft in Vancover. Fredrich – der Finne mit dem schwedischen Akzent (oder andersrum) konnte mich nicht ganz beruhigen, als er mir versicherte, dass der Spass doch deutlich im Vordergrund stehen würde.
 
Zugewiesen wurde mir die Position am Mast…Kellergeschoss mit der Bedienung von Spifall, Spibarber, Spibaum, Spisack, Genuaroller, Cunningham, Unterliekstrecker  Irgendwie alles nicht viel anders als beim Fireball aber in völlig anderen Dimensionen.
Man erwies sich als gnädig und setzte auf mein Bitten dann vor Beginn der Wettfahrt doch noch mal den Spi zur Probe.  Der Wind frischte auf ca. 3-4 Bfd auf, das Schiff warf sich auf die Seite und los gings. Vom Rennverlauf bekam ich auf der kleinen nassen Sitzbank im Rumpf nicht viel mit, nur bei den Manövern und auf den Spikursen konnte ich meinen Kopf mal über die Deckskante recken. In Lee war die Sicht sowieso wegen der überdimensionalen Genua versperrt.  Am Ende des Tages waren 3 von 4 Läufen gewonnen und meine Telefonnummer im Handy vom Skipper, Steuermann und Eigner Reinhard Suhner abgespeichert. Drei Mal in der Woche würde bei ihm trainiert –Dienstags frei in Romanshorn auf MECARA, einem klassischen 6er von 1954, Mittwochs für die Regatta-Stammcrew in Bottighofen auf einem der beiden modernen Yachten aus der gleichen Klasse, der Donnerstag sei für den 5,5er Mischa in Steckborn reserviert. Also wenn ich Lust hätte…
 
Wenn es um’s Segeln geht, muss man mich normalerweise nicht zwei Mal bitten. Zudem ergab es sich, dass die Position auf dem Vorschiff frei  wurde und Gianpiero, den ich bei der Bodenseewoche vertreten hatte unbedingt aus dem 1. UG raus an die frische Luft wollte, wo es so gut nach Adrenalin riecht.
Eine optimalere Position als vorne unten, gibt es für mich wohl nicht: koordinierendes Mulittasking- Timing liegt mir. Am Steuer und als Vorschoter fehlt mir bei Regatten Nervenstärke und Durchsetzungsvermögen, für die Winschen die Kraft.
Auch Ingo wurde angeworben und als Allrounder an Grossschot, Vorschot bzw. Vorschiff ins Team integriert. Leider war im Job sein voller Einsatz gefordert, so dass es bei der Position Edelreservist für die Saison 2018 bleiben sollte. Bei der EM in La Trinité sur mer – dem erklärten Saisonziel hielt er uns aber als sechstes Crewmitglied den Rücken frei. Im Falle eines Ausfalls hätten wir jede Position ersetzten können.
 
Also, wer sind WIR eigentlich? Reinhard Suhner am Steuer, zusammen mit Fredrich Dahlman an der Grossschot auch für Trimm und Taktik verantwortlich, Vorschoter und Segelmacher Jesper Schiewe. Gianpiero Armiento hat am Bug immer die Nase vorn und ich versuche Ordnung im Schnürli- und Spinackerchaos zu halten.
Fast jeden Mittwoch konnten wir zusammen trainieren und ausser den Midweek-Races (Yardstick) noch drei Klassenregatten bestreiten. Teile der Crew waren zudem zum intensiven Testen auf NIVOLA noch zur Copa del Rei auf Mallorca.
 
Je näher die EM rückte, desto spannender wurde die Frage in welchem Teil des Feldes wir uns wohl wiederfinden würden. Nach dem zweiten Platz auf Mallorca, wurden die Vorhersagen von Reinhard dann konkreter: „Treppchen ist realistisch“. Küchendesigner Gianpiero und Hebamme Kerstin nahmen es stirnrunzelnd zur Kenntniss, denn gemeldet waren in grossen Teilen Profimannschaften. Aber mit einem Europameister (2010 in Brunnen - Reinhard mit MECARA und übrigens Michael Schäfer an Bord!) sowie einem Weltmeister (2007 in Cows - Fredrich) konnten wir uns ja zumindest auf  geballte Erfahrung berufen.
 
Bei der letzten Trainingsregatta drei Tage vor der Abreise ging dann nochmal alles schief. Bei guten 4Bfd. klappte kein Manöver – „Wie die Anfänger!!!“ schoss irgenwann ein „Blitz“ aus Richtung Steuer zu uns da vorne und am zweiten Tag machten uns die Auswirkungen des Niedrigwassers zu schaffen. Mehrere Kilo Wasserpflanzen hatten sich im oberen Teil von Kiel und Ruder für uns unsichtbar verfangen, das Rückwärtssegeln um genau dem vorzubeugen nur noch einen festeren Knoten geschnürt. So kämpften wir uns mühsam durch den Schwachwindlauf und sahen erst beim Auswasser am Folgetag das ganze Elend.
 
Auf einem Tieflader ging es bereits Dienstags für NIVOLA, die über tausend Kilometer Richtung Bretagne, wir anderen folgten verteilt auf Flugzeug und zwei Autos am Donnerstag.
Ingo und ich sammelten morgens noch Jesper in Singen ein und starteten dann zu einer kurzweiligen Fahrt. Pünktlich zur Vorspeise (Wein mit Austern) konnten wir uns zum Rest der Mannschaft gesellen. Die Hauptspeise (Austern mit Wein) gab dann einen kulinarischen Vorgeschmack auf die nächsten Tage. Bei einem Verdauungsspaziergang durch den beleuchteten Hafen staunten wir alle über die Einhand-Hochseekatamarane in riesigen Dimensionen am Steg.
Zum Dessert wartete dann der Bezug unseres fantastisch ausgestatteten und gelegenen Ferienhauses auf die etwas erschöpfte Reisegruppe.
Das Einwassern der ca. 40 Schiffe, die aus Europa, Kanada und den USA angereist waren, am nächsten Tag bei herrlichem Sommerwetter war dann doch eine etwas aufwändigere Prozedur, die vom Hafenpersonal jedoch ruhig und professionell erledigt wurde. So konnten wir bereits nachmittags zu einem ersten Probeschlag in der Bucht von Quiberon auslaufen.
Für das Wochenende waren zunächst in einer Vorbereitungsregatta vier Testläufe geplant. Wegen Windmangel am Samstag blieb es dann bei zwei Wettfahrten am Sonntag. Für uns lief es durchwachsen, der Frühstart im ersten Lauf war wohl nötig, um dem Starttiming noch den letzten Schliff zu geben, bevor es am Montag ernst wurde.
 
Erster Tag: Bei leichten Winden um 2 Bfd. lief es im ersten Lauf rund für uns. Hinter vier zu früh gestarteten Booten machten wir uns auf die Jagd, kamen näher und näher, überholten und segelten am Ende allen auf und davon, mit einem Vorsprung von 2:40 auf den nächsten. Hatten die anderen geblöfft?
Der Wind nahm mehr und mehr ab, nur wenige Moderns schafften es mit dem letzten Hauch in anständiger Manier über die Ziellinie, wir gehörten leider nicht dazu und mussten uns in einem Pulk von etwa zehn 6ern über die Markierung treiben lassen – der enttäuschende 9. Platz.
 
Zweiter Tag: Erneut bei herrlichem Sonnenschein und Wind zwischen 8 und 10 Knoten konnten wir uns im ersten Lauf des Tages einen dritten Rang erkämpfen. Nach einem unbemerkt gebliebenen Fehler bei der Vorbereitung  im Hafen von mir, gab es durch ein verdrehtes Spifall eine kurze Verzögerung beim Spisetzen. Das Feld war dicht beisammen, so mussten wir einige Boote passieren lassen, konnten aber erneut aufholen und sicherten uns am Ende den dritten Platz.
Im vierten Lauf der EM lief es dann erneut besser, klar vorausliegend wurde bei abnehmendem Wind jedoch kurz vor dem Ziel abgeschossen – schade für uns. Die Wettfahrtleitung wollte sich und den Teilnehmern offenbar ein ähnliches Desaster wie am Vortag ersparen.
Damit war klar, dass es am nächsten Tag mit windiger Vorhersage drei Läufe geben würde.
 
Dritter Tag: Mit den vom Chef de mission verordneten Nudeln zum Frühstück konnte ich mich die Tage zuvor schon schwer anfreunden, obwohl Gianpiero – der fantastische Mannschaftskoch – bereits morgens um 06:30 Uhr alles gab mit seinen Spaghetti Vongole oder Carbonara. Über 20 Knoten Wind waren für diesen Tag gemeldet, und die Teigwarenration für jeden wurde vom Skipper kurzerhand zwangsverdoppelt…eine Freude für meinen Magen und die seit Tagen von mehreren Herpesblasen offene Unterlippe. Von Vorentscheidung und Vorteilen für die Proficrews war schon am Abend zuvor die Rede gewesen. Zudem galt es den versäumten Lauf aufzuholen.
 
Wolken und auf über 20 Knoten zunehmender Wind empfingen uns auf dem Atlantik und die Nudeln schienen Ihre Wirkung nicht zu verfehlen. Nach zwei Runden Up-Down-Up-Down gingen wir mit 19 Sekunden Vorsprung über die Ziellinie.
Alle Teilnehmer staunten nicht schlecht, als auf dem Startschiff für das nächste Rennen das Signal für drei Runden gesetzt wurde. Offenbar wollte die Regattaleitung die Spreu vom Weizen trennen, also gut, auf in den Kampf. Kurz vor dem Start entdeckte ich im Cockpitboden einen aufgebogenen Splintring, für eine Analyse zur Herkunft war es jedoch zu spät. Am Luvfass liess sich der Mastschlitten für den Spibaum nur mit Gewaltanwendung nach oben ziehen und ein Knoten im Spifall  verhinderte ein schnelles Manöver zusätzlich. Obwohl alles Gute ja von Oben kommen soll, sorgte die kleine Kugel, die vor meiner Nase auf das Deck viel für einiges Kopfzerbrechen. So entschloss ich mich, Jesper zu informieren um im Zweifelsfall  auf Komplikationen am Leegate vorbereitet zu sein. Es brach aber „nur“ der Rahmen aus Kunststoffrohr vom Spisack an so ungünstiger Stelle, dass eine Beschädigung am Segeltuch beim Setzten oder Bergen zu befürchten war. Vorsicht für die nächsten Manöver war also geboten! Auf dem folgenden 1,6sm langen Vorwindkurs wurde dann zunächst das Chaos aus Schoten und 80qm Spinacker beseitigt und dann das gebrochene Kugellager des Mastrutschers notdürftig durch Tape geflickt. Unter diesen Umständen muss der 5 Rang in diesem Lauf wohl als „erfolgreicher Fehlschlag“ gewertet werden.
 
Auch der dritte Lauf des Tages sollte über die vollen drei Runden ausgetragen werden. Die Wettfahrtleitung machte einen fantastischen Job, einzig die vor dem hellen Sandstand bei Wellengang und zwischen einer grösseren Anzahl Regattabegleitboote kaum auszumachenden „Mini“-Tonnen stellten ein Problem da, vor allem als das Fernglas durch das Salz auf der Optik kaum noch zu gebrauchen war. Noch einmal schafften wir es, alles zu geben und mussten nur dem amtierenden Weltmeister vom Genfer See Phil Durr auf JUNIOR (ebenso ein ehemaliger Fireballsegler) im Ziel den Vortritt lassen.
 
Auf der abendlichen Rangliste hatten wir im ersten Rang zwar noch einen Vorsprung auf JUNIOR, unter Einbezug des noch fälligen Streichers, schrumpfte dieser jedoch bedenklich.
Die ausgegebene Taktik für den vierten und letzten Tag war: Einen Lauf auf Angriff, einen auf Verteidigung.
 
Vierter Tag: Wieder Sommerwetter und mittlere Winde vom Feinsten versprachen einen fantastischen Tag auf dem Wasser. Offenbar sollte der erste Lauf des Tages der Angriff sein, was so ziemlich … na ja, reden wir nicht mehr drüber. Falsche Seite – 9. Platz.
Was dann folgte, war eine Lehrstunde aus dem Kapitel „Never give up“. Um doch noch den Titel zu erringen mussten wir im achten und letzten Lauf den Weltmeister – ebenfalls wie einige andere mit Profis am Werk – schlagen. Auf dem Vorschiff gaben wir uns alle Mühe fehler- und störungsfrei unsere Arbeit zu verrichten, kaum ein Wort wurde auch hinten auf dem ersten Amwinder gesprochen. Nur der Satz von Fredrich an Reinhard gerichtet „hast Du eine private Böe“ liess uns unten im Keller Hoffnung auf einen guten Rennverlauf schöpfen. Am Luvfass sahen wir dann die „Bescherung“ – ein Vorsprung über mehrere Bootslängen. Wir waren die gejagten! Jetzt nur nicht nervös werden. Alle Manöver liefen wie am Schnürchen, jedoch holte Phil Durr mit seiner Crew Welle für Welle auf, ein Matchrace über drei Schenkel war die Folge. Jesper fuhr den Spikurs seines Lebens, Reihnhard und Fredrich wehrten mit mehreren taktischen Halsen einen Angriff nach dem nächsten ab. Am Ende des letzten Down-Wind-Kurses waren die Nerven so gespannt, dass wir die über uns kreisende Fotodrohne am liebsten abgeschossen hätten - zum Glück hatten wir weder Möglichkeit noch Gelegenheit! Zwei weitere Konkurrenten versuchten unseren Zweikampf zu ihrem Vorteil zu nutzen und sich vor uns zu platzieren, dennoch gab NVOLA und ihr Team den Sieg nicht mehr aus der Hand. Die Hupe ertönte, kein Protest war hängig und wir konnten die Gratulationen der anderen entgegen nehmen.
 
Das Galaessen am Abend war dann der reinste Genuss und die Vorfreude auf die Rangverkündigung am nächsten Tag gross. Zunächst sollte aber noch die Arbeit des Auswasserns bewältigt werden. Trotz der verkürzten Nachtruhe waren wir leider nicht die ersten am Kran und mussten uns in eine lange Schlange einreihen. So brachen wir in Arbeitskleidung zum Shake-Hand auf. Dem Erstplazierten bei den Klassikern – HRM Juan Carlos von Spanien – sah ich mich dann unverständlich stammelnd mit dreckiger Hose und ungewaschenen Händen gegenüber.
 
Beim Anblick der ausgestellten Pokale konnte ich kaum glauben, was Reinhard mir erklären wollte. Nicht nur die Coppa Giovanelli hatten wir uns erkämpft, auch zwei weitere Pokale sollten mit uns die Heimreise (was uns im Folgenden noch vor einige logistische Herausforderungen stellte) in die Schweiz antreten. Mit 22 Jahren durfte Jesper den goldenen Astor-Cup entgegennehmen und an mir war es, die Lucie-Bedford-Warren-Trophy für die beste Crew mit einer Frau an Bord, die alle Wettfahrten mitgesegelt hat, zu stemmen. Ein wahrhaft gigantisches Gebilde.
 
Am Samstag vormittag trat dann der grössere Teil der Mannschaft die Heimreise an. Reinhard und Fredrich mit der Coppa Giovanelli unter dem Arm im Flugzeug – der Zoll in Frankreich war „not amused“, dass Reinhard dieses „französche Kulturgut“ ins Ausland mitnehmen wollte.
Gianpiero mit seiner Frau Andrea und Jesper im Porsche – in dem für Jesper und den Astor-Cup nebst zugehörigem Flight-Case nicht ausreichend Platz war. Also wurde der wertvolle Pokal in ein Badetuch gewickelt und in einem Kochtopf gesichert.
Im unserem Renault wurden kurzerhand die Rücksitze ausgebaut und in NIVOLA verladen, damit zusätzlich zu uns auch Lucie mit zwei Flight-Cases Platz finden konnten.
 
Nach diesem äusserst erfolgreichen Unternehmen in Frankreich sollen nach den Wünschen von Eigner Reinhard Suhner Schiff und Crew in gleicher Besetzung bei der Weltmeisterschaft in Hanko/Finnland antreten. Der Titel soll gewonnen und die beiden Bonus-Preise verteidigt werden.
Wir hoffen, den Rückflug am 10. August 2019 mit einigem Übergepäck antreten zu dürfen.