SEGLERVEREINIGUNG MAMMERN
Wir segeln aus Leidenschaft
, Schulze Kerstin

Marius Sax - 2015 -So 'ne Seefahrt die ist lustig...

nicht immer läuft alles so, wie man es sich in seinen Segelträumen ausmalt.

 

So ne Seefahrt, die ist lustig … und für einmal ganz schnell zu Ende

Seit 15 Jahren segle ich jetzt regelmässig mit fremden Leuten. Noch nie endete ein Törn vorzeitig oder in Unfrieden. Im Gegenteil, mit vielen Leuten segelte ich in der Folge mehrmals; für die Segelgruppe Serena allein war ich zwischen 2003 und 2011 insgesamt über 30 Wochen als Skipper im Mittelmeer problemlos unterwegs, verursachte nie einen Schaden. 2004 überquerte ich den Atlantik, 2010 den Pazifik. anschliessend fuhr ich zweimal von Neuseeland nach Tonga, einmal von Fiji nach Neuseeland. Die erste negative Erfahrung musste ich diesen Sommer machen:

Nach einem unwahrscheinlich guten Segelsommer 2015 auf Unter- und Obersee – nicht zuletzt deshalb, weil ich beim Informationsdienst des Kantons Thurgau meist nur am Morgen arbeitete und darum nachmittags segeln konnte –  flog ich am 19. August von Basel nach Montpellier. Mein neustes Abenteuer sollte von Gruissant im Süden Frankreichs nach Venedig und zurück führen. In Montpellier stieg ich in einen Bus, der uns zur Tramstation brachte. Das Tram fuhr zum Bahnhof, wo ich ein Ticket zog, um ein Ticket kaufen zu können. Allerdings waren 10 Kunden vor mir an der Reihe. Dies beunruhigte mich nicht, denn es waren noch gut 20 Minuten bis zur Zugabfahrt. Allerdings verflogen die Minuten im Takt. Ein Automat löckte. Tickets kaufen, ohne zu warten. Eh bien. Destination gewählt: Narbonne, Zeit 14.53 Uhr, 2. Klasse, einfach, keine Vergünstigungen, Zahlungsmittel wählen, Mastercard; PIN eingeben. Karte wird nicht angenommen. Nochmal, dann neues Zahlungsmittel, EC-Karte. Wieder der gleiche Kommentar. Mittlerweile sind nur noch 15 Minuten bis zur Zugabfahrt, aber auch nur noch geschätzte fünf Kunden vor mir. Langsam wird es eng. Nun gut, in einer Stunde fährt noch ein Zug. Trotzdem möchte man weiter, ans Ziel. Schliesslich habe ich noch zwei Minuten bis Zugabfahrt, nachdem der Ticketkauf dann an einem herkömmlichen Schalter abgewickelt worden war. Zahlungsmittel Mastercard. Ohne zu murren wurde die Karte das erste Mal akzeptiert. Oh je, welches Gleis? Und wo geht es zu den Gleisen? Es wurde nochmals richtig eng... Aber schliesslich sass ich verschwitzt im Zug von Montpellier nach Narbonne mit Zwischenhalten an Stationen im 10-Minuten-Takt, darunter so bekannte und klingende Namen wie Sète und Béziers. Dazwischen taucht immer mal wieder ein Kanal auf, vermutlich der canal du midi.
Ankunft Narbonne, Bahnhofbuffet, ich telefoniere Eduard. Er komme in einer Stunde. Also Zeit, Bier zu trinken und eine Quiche Lorraine zu essen. Dann kommen die Eigner: Eduard, den ich schon an Bord auf dem Untersee dabei hatte und also kannte. Ein gross gewachsener, schlanker ehemaliger Ingenieur bei verschiedenen deutschen Autobauern, wortkarg und zurückhaltend, wie es schien. Seine Frau Heidi, klein und schlank und noch mit Krücken ausstaffiert, da sie kürzlich eine künstliche Hüfte bekommen hatte. Mit ihr hatte ich nur zweimal kurz am Telefon gesprochen. Zweimal hatte Doris sie an der Strippe. Doris meinte, die sei wohl sehr kompliziert und mit der würde sie nicht so lange Zeit an Bord verbringen wollen. Wie recht sie doch haben sollte.

Den Abend in Gruissant, einem netten kleinen Altstädtchen mit Burghügel und drumherum wuchernden Ferien-Spekulationsbauten, lediglich durch aufgesetzte halbrunde Dachbögen von Plattenbau-Siedlungen zu unterscheiden, verbrachten wir in einer kleinen Kneipe mit angenehmer Atmosphäre und kleiner Speisekarte, auf der aber sehr schmackhafte Gerichte angeboten wurden.

Am Donnerstag begann die Arbeit in gleissendem Sonnenlicht nach einem reichhaltigen Frühstück. Zur «Unterstützung» sehr laute Musik aus dem Salon der «Eldire»: Eine Sopranistin schmetterte eine Oper nach der andern in die Luft. Gerade die Musik, welche ich am allerwenigsten ausstehen kann! Der Kommentar meines Grossvaters zu dieser Art Musik soll gewesen sein: «Der sollte man auf den Hals stehen!» Er hatte Recht.
Der Bootsname, «Eldire», erklärte Eduard, bedeute nichts, er sei ihm im Traum eingefallen.
Da der Wind nur leicht bis mässig war, wollten wir die Segel anschlagen. Was bei meiner Caprice in einer Viertelstunde erledigt ist, dauerte den ganzen Tag. Bis wir nur die Segel an Deck
hatten, waren zwanzig Minuten vorbei. Allein ist das kaum zu schaffen, denn das Gross mit 50 m2 und die Genua mit 80 m2 wiegen schwer. Beim Gross mussten wir die Lazy-Jacks und Lazybag  montieren. Aber auch wegen des Fehlers beim Setzen der Genua – Eduard wusste nicht mehr, welche Reffleine für die Genua und welche für die Fock war und wir erwischten natürlich die falsche – verloren wir viel Zeit. Wir brachten die Rollleine nach steuerbord, anstatt nach backbord, so dass der Sonnenschutz, ein Streifen blauen Tuchs am Achterliek, auf der verkehrten Seite war. Also wechseln.
Zweimal habe ich den Eigner auf den Mast gesichert. Er musste die Lichter kontrollieren und den Mast überprüfen. Die Deckleuchte und das Dampferlicht auf halber Höhe würden später folgen.
Bald wurde die Kommunikation der beiden über 70-Jährigen klar: Er sagt kaum etwas, macht nur einige Handzeichen, die man dann verstehen soll; dafür plappert sie ständig, ohne Komma und Punkt. Wiederholt dabei Banalitäten, Vermutungen und auch Befehle mindestens zwei- bis fünfmal.
Der Freitag war wieder heiss und die Arbeit erfolgte an der prallen Sonne oder in der Hitze unter Deck: Wassertank leer pumpen und reinigen, Dampferlicht reparieren und neu montieren; ich unten, Eduard oben. Der Anker musste von der Backskiste an seinen Platz an Deck gebracht werden. Kein leichtes Unterfangen: Der Anker wiegt immerhin 25 kg und muss von aussen auf die Bugrolle geführt werden, wobei sämtliche vier Festmacherleinen umgangen werden müssen. Schliesslich war er an Ort – jetzt folgte das Beiboot: An Deck schaffen, auspacken, aufpumpen mit einer Fusspumpe, zu Wasser lassen. Mit dem Beiboot löste Eduard zwei der vier Festmacher-Leinen, um dann schneller wegzukommen. Dann der unvermittelt kommende Befehl, das Beiboot wieder zu verpacken, wir würden es ja kaum gebrauchen. Viele Leerläufe, immer wieder.

Am Samstag war es bewölkt und nicht mehr so heiss. Ich richtete die neuen Leinen: Aus einer 60 Meter langen machte ich fünf: 3 x 10 Meter, 2 x 15 Meter mit den Enden schön verschweisst, damit sie nicht ausfransen.
Eduard verbrachte seine Zeit einmal mehr (wie die letzten drei Tage) im Motorraum. Motor läuft eigentlich, zieht aber immer wieder Luft und stirbt ab. So können wir natürlich nicht los… Manchmal läuft der Motor für längere Zeit, dann stirbt er plötzlich wieder weg.
Ich habe Fender geputzt, ziemlich lange, Saudreckarbeit. Dafür bin ich nicht gekommen.
Am Abend kommt Harry, unser vierter Mann; ein kräftiger, blonder Norddeutscher mit einem klassischen Seesack auf der Schulter als Gepäck. Er arbeitet beim Land Schleswig-Holstein im Sicherheitskontrolldienst auf Baustellen und in Tunnels.

Das Motto an diesem Sonntag lautete einmal mehr: Arbeit, Arbeit, Arbeit.
Der Motor läuft immer nur für kurze Zeit, dann plötzlich überhaupt nicht mehr. Deduktives Verfahren: Motor direkt am Diesel anschliessen. Er läuft. Irgendwoher muss also die Luft herkommen. Eduard dachte erst an die Wassersperre. Ausbauen, auf undichte Stellen prüfen, Da keine neuen Dichtungsringe zur Hand waren, dichtete der das Teil mit einer Silikonmasse von aussen. Es hilft nichts. Plötzlich läuft die Maschine überhaupt nicht mehr. Das einzige, was mich überrascht, ist, wie lange die Batterie den Anlasser betätigt. Harry tippt schnell auf einen defekten Schlauch. Schliesslich wird eine Wasserflasche mit Diesel gefüllt und der Schlauch da ganz eingetaucht. Und siehe da: Der Motor springt an und läuft. Also muss es am Schlauch gelegen haben. «Obwohl ich immer ein Stückchen des Schlauches abgeschnitten habe», seufzte Eduard resigniert. Harry meinte nur, das sei ja klar, dass bei einem fünfzehn Jahre alten Schlauch die Weichmacher weg seien, der Schlauch also spröde sei. Sein müsse.
Harry und ich sollen den Radarreflektor neu montieren, der auf Deck gefallen war, da auch er mittels Plastik montiert worden war. Zuerst wollten wir ihn ganz oben am Mast befestigen, was beste Reflexe garantiert. Leider schamfilte – Landratten sagen scheuerte – die Dirk dann am Reflektor. Also wieder rauf und Reflektor weiter unten befestigt, so weit unten, dass Harry gerade noch an die Schrauben der Schellen ran kam. Es schamfilte immer noch. Also Abbau, dann am Achterstag hoch und dort neu montiert.
Insgesamt war Harry sechsmal oben, an Mast und Achterstag. Ich war immer an der Winsch. Am Schluss spürte ich es im Kreuz und Harry war ziemlich fertig, hatte geschürfte Stellen an den Oberarmen. Unser Skipper bedankte sich nicht, er nahm das wohl als absolut selbstverständlich hin.
Am Nachmittag hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, mit Madam einzukaufen. Die französischen Supermärkte Carrefour waren mir bekannt und noch in guter Erinnerung. Hatte ich doch im Carrefour auf Teneriffa einen ganzen Tag eingekauft, wo wir für die Atlantiküberquerung 14 übervoll geladene Einkaufswagen gebunkert hatten. Das Angebot ist gewaltig, schränkte sich diesmal aber arg ein. Denn alles, was rund 15 – 20 Prozent teurer war als das Mindestangebot, kam nicht in Frage, weil zu teuer. Die Einkaufspreise in Deutschland hatte sie auch gleich immer zur Hand, besser gesagt auf der Zunge, inklusive Umrechnung in Mark. Da wurde verglichen, was das Zeug hielt. Natürlich wurden dann bei allen Artikeln die Inhaltsstoffe überprüft. Leicht überheblich meinte sie, das sei eben der Vorteil, wenn man lesen könne. Man kann sich denken, wie viel Zeit das in Anspruch nahm. Schinken allein gab es im Carrefour etwa hundert verschiedene…
Doris amüsierte sich sehr, als ich ihr diese Episode erzählte, kennt sie doch meine Ungeduld beim Einkaufen. Im Carrefour wurden auch nur die spezielleren Lebensmittel gekauft, selbstverständlich kauften wir die gewöhnlichen Lebensmittel, Bier, Wein und Wasser im Lidl – weil billiger.
Immerhin war denn auch diese Tortur einmal zu Ende. Allerdings mussten später noch verschiedene Dinge nachgekauft werden. Da wären jene im Vorteil gewesen, die auch schreiben konnten und sich einen Merkzettel mitgenommen hatten. Den Kommentar verkniff ich mir.
Dann musste alles, was sich im Boot angesammelt hatte im kleinen Opel Corsa verstaut werden, mit dem das kinderlose Paar aus dem Raum Hannover nach Südfrankreich gefahren war. Aber dann musste alles wieder raus, weil zu wenig schön gestapelt. Als alles wieder drin war, musste es wieder raus, denn Madame musste nochmals nachkaufen, auch noch Kabel für den Computer kaufen, die sie ohne meine Hilfe nicht gefunden hätte. Eduard hat sich das Navigationsprogramm von MaxSea gekauft, aber kaum damit geübt, weil er lieber an der bewahrten Seemannstradition festhält. Den Inverter (ein Wechselrichter, der aus 12 oder in diesem Falle aus 24 Volt 230 Volt macht) montierte er zusammen mit Harry. Vielleicht traute er deshalb dem Inverter nicht und liess ihn während der gesamten Durchquerung des Löwengolfs nicht mitlaufen.
Dann musste alles wieder in den Corsa gepackt werden. So werden Deppen beschäftigt. Langsam hatten wir die Nase so voll, wie der Opel war. Immerhin waren wir jetzt so weit. Dachte jedenfalls Harry, der nur drei Wochen Zeit hatte. Mir war schon klar, dass wir am Dienstag noch nicht ablegen würden.
So näherte sich der Dienstag, Harry meinte, jetzt könnten wir wohl die Leinen lösen. Eduard sagte es bald klipp und klar, dass er heute noch nicht abfahren wolle. Zuviel müsse noch verstaut werden, alles müsse seefest gemacht werden. Harry, der nur drei Wochen Zeit hat, war „not amused“. Die Stimmung wurde etwas gereizter.
Als Dienstagmittag eigentlich alles bereit war, machte ich den Vorschlag, den Diesel zu bunkern, damit wir am Mittwoch früh loskämen. Aber: nein, wurde uns – diesmal von Madam – beschieden, dies sei zu kompliziert. Man hätte wohl dann auch grad mal das An- und Ablegen üben können, im Vorhafen mal ein MOB-Manöver (Mann über Bord) simulieren können. Aber nein. Harry war dann bald nicht mehr gesehen und so um Mittag, als man mich nur noch dazu anstellte, Müll von Bord zu bringen, machte auch ich mich vom Acker und bummelte durch die riesige Marina, wo wohl gut 1500 Boote in verschiedenen Becken vertäut liegen.
Am Mittwoch gegen zehn ging es dann doch noch los. Pech war nur, dass die Tankstelle belegt war. Sie würden noch auf den Skipper warten, beschied uns einer der französischen Crew. Nach zehn Minuten meinte ich, sie könnten ja schnell eine Runde drehen und dann wieder anlegen. Der Skipper komme ja gleich. Irgendwann kam dann einer und das Boot war weg. Wir bunkerten 330 Liter Diesel. Etwas mehr alter Diesel war wohl noch in den beiden Tanks. Vermischt mit dem neuen, sollte das gehen, meinte der Skipper. Wenn ich da an meine Erfahrungen zwischen Panama und den Galapagos denke, wo der Motor plötzlich aussetzte, da sich im alten Diesel Algen gebildet hatten…
Bald waren dann die Segel gesetzt und wir unterwegs. Bei der ersten Wende rumpelte es gewaltig: Der gesamte Inhalt des Backofens fiel heraus und wohl noch einiges mehr. Wer hat denn die Kiste seefest gemacht?
Als wir die Maschine abstellten, fiel die Geschwindigkeit bald unter fünf Knoten, dann unter vier, drei, zwei. Da griff ich ein, denn der Autopilot packte es nicht mehr. Dank Handsteuerung schaffte ich es nochmals auf vier Knoten, dann nahm der Wind weiter ab, und wir liefen bald unter Maschine wieder um die sechs Knoten.
Traktorfahren auf dem Mittelmeer. So habe ich mir das nicht vorgestellt, ich bin Segler, nicht Bauer.
Die selbstlose Wacheinteilung des Skippers: Mich traf es von 16 bis 20 Uhr, den selbstlosen Skipper von 20 bis 24 Uhr, Harry von 24 bis vier Uhr, mich von vier bis acht Uhr, den selbstlosen Skipper dann wieder von acht bis zwölf. Madam war von den Wachen befreit. Bereits da konnten wir eine Vorstellung davon bekommen, was der Skipper unter altruistischem und humanistischem Verhalten im Geiste der Aufklärung meinte. In Diskussionen betreffend Religion, Kirche und Gott und die Welt hatte er dies jedenfalls immer vollmundig verkündet. Und obwohl Madame keine Wache zu übernehmen, redete sie immer drein. Machte schon in meilenweiter Entfernung eine stehende Peilung aus und sagte alle paar Minuten, er bewegt sich aber überhaupt nicht. Mein geübtes Auge hatte aber schon bald ausgemacht, dass die Fähre weit hinter uns durchgehen würde. Was aber ihren Kommentar der stehenden Peilung nicht ganz aus der Welt schaffte. Als sie wieder unten etwas wuselte, meinte Harry plötzlich: «Ich sässe bestimmt für lange Zeit im Gefängnis.» Erstaunt blickte ich ihn an, werweisste, was er damit meinte. Dann fuhr er fort: «Aber ich wäre sie los.»
So durchpflügten wir mit unserem Traktor den Golf von Lyon, bald begleitet von einer grossen Gruppe Delfinen, später sahen wir auch noch zwei Pilotwale (auch Grindwale genannt), die in etwa hundert Metern Entfernung gemächlich ihre etwa sechs Meter langen Rücken mit der markanten Flosse durchs Wasser zogen und immer wieder mal bliesen. Als es nach der zweiten Nacht langsam hell wurde und der Himmel sich rot und gelb einfärbte, konnte ich Korsikas Umriss erkennen, hinter dem dann die Sonne aufging. Da ist man wieder einigermassen versöhnt. Kein Geschwätz stört, keine sinnlosen Befehle oder Aktionen. Nur der Motor. Nach gut 50 Stunden erreichten wir die Südspitze Korsikas. Herrlicher Wind wehte in der Strasse von Bonifacio, bald 18, dann bis 22 Knoten scheinbarer Wind. Also stoppten wir die Maschine. Leider fiel die Geschwindigkeit wieder weit unter vier Knoten, also wieder Maschine. Die Feltz Skorpion, 13,7 Meter lang, ist also ein Motorsegler der Art, dass die Betonung auf Motor liegt. Definitiv nicht meine erste Wahl. In der Nordsee war ich mal vier Wochen auf einem Motorsegler unterwegs gewesen, der aber unter Segeln gut lief. Davon konnte hier keine Rede sein. Als wir kurz vor La Maddalena die Segel bergen wollten, klemmte die Selbstwendefock. Die Schot war von der Rolle gesprungen und hatte sich verklemmt. Also ersetzten wir die Schot und demontierten die verklemmte. So liess sich die Fock wenigstens bergen.
Gegen sieben waren wir in La Maddalena fest, mit Hilfe der Hafenangestellten, welche uns mit dem Schlauchboot quer drückt, denn das Bugstrahlruder war ausgefallen. Ohne Bugstrahler lässt sich die Kiste kaum rückwärts fahren. Ich sollte dann tauchen gehen, dabei den Bugstrahler wieder gängig machen und gleich auch die Logge klar machen, welche seit der Abfahrt nicht funktionierte. Mach ich doch, auch im Hafenwasser. Aber erst morgen.
Als wir korrekt abgefendert neben einem Motorboot lagen und die Gangway montiert war, legte eine Familie mit einem gecharterten Boot neben uns an. Selbstverständlich half Harry bereitwillig und war bald in ein Gespräch mit seinen Landsleuten vertieft. Ich besorgte zwei Biere, Eduard wollte keins, um den obligaten Anlegeschluck zu trinken. man muss ja auch als einfaches Crewmitglied schauen, dass die alten Seefahrergepflogenheiten nicht sträflich vernachlässigt werden!
Unser Eigner stieg auf den Mast, um die verklemmte Schot zu befreien. Meine Frage, ob ich ihn sichern solle, verneinte er. Allerdings musste ich dann den grossen Schraubenzieher – die Deutschen sagen -dreher – besorgen und per Flaggenzug hochziehen. Er schaffte es nicht, also brauchte er auch noch eine Zange, damit er die Rolle demontieren konnte. Ich, wie der Depp vom Dienst, immer bei Fuss.
Wieder unten schiess er mich zusammen, das sei schlechte Seemannschaft, die Falle seien nicht klariert gewesen, und dann müsse man nachts hoch, um das Klappern zu stoppen. Ich verstand die Welt nicht mehr. Es waren höchstens zwei Falle, also so oder so eine Kleinigkeit. Zudem war er ja noch am Mast beschäftigt, da kann man ja nicht klarieren. Er sei nur aus Wut da hoch gegangen, meinte er drauf. Er wurde richtig wütend. Er stelle uns frei, von Bord zu gehen, fauchte er uns an. Also, gemach, gemach. Auch wenn die Falle noch nicht fertig aufklariert gewesen seien, sei das doch lange kein Grund, so zu reagieren. Das sei jetzt nur die Spitze gewesen. Wir beide waren uns keiner Fehler bewusst. Zu mir meinte er später gar, wenn er was sagen würde, müsste er mich beleidigen. Er hatte schlicht keine Argumente, denn ich habe alles nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Und in den letzten drei Jahren habe ich wohl Tausende mehr Seemeilen ins Kielwasser gelegt als er. Ich verkniff mir dann die Antwort, dass einer, der so kindisch reagiere wie er, mich nie im Leben beleidigen könne. Dazu hat er schlicht das Format nicht.
Aber ich war betroffen: Da krampfst du dich sieben Tag wie ein Sklave ab, fährst die Kiste quer durch den Löwengolf und als Dank jagt er dich quasi von Bord. So etwas muss ich mir nicht bieten lassen. Er meinte schliesslich, wir sollten das Ganze überschlafen. Harry war dann schnell vom Boot weg, ich holte noch den Bootsschlüssel und meinte, wir befänden uns in der Pizzeria oberhalb des Hafens, sie könnten ja auch kommen. Selbstverständlich kamen sie nicht. Harry und ich beratschlagten uns. Ich wollte von Bord gehen, falls er sich nicht entschuldige. Harry meinte, eine Entschuldigung bringe nichts, denn die beiden Alten seien so, wie sie nun mal seien und man könne sie nicht ändern. Da hatte er recht. Die beiden Pensionisten hatten auch einmal erwähnt, dass alle ihre Bekannten leider leidenschaftliche Nichtsegler seien oder dass sie sich anderweitig arrangiert hätten. Das kann ich jetzt im Nachhinein sehr gut verstehen.
Wir gingen nochmals alles durch, stellten Vermutungen darüber an, was ihn zu einer so ungerechten Aussage gebracht haben könnte. Waren es seine Frustrationen mit der Dieselzufuhr, die er nicht lösen konnte, die Erkenntnis, dass er wohl viel vergessen hat, der Neid, dass auch andere etwas wissen, allenfalls gar mehr als er. Oder wollte er uns zeigen, dass er der absolute Herrscher war und wir nichts als Sklaven, die nun zu Kreuze zu kriechen hatten, wollten wir Venedig sehen? Auch seine fachlichen Mängel als Skipper diskutierten wir: Es gab nie eine Sicherheitseinweisung. Unterwegs musste ich ihn nach der Notpinne fragen. Das auf Unterschenkelhöhe angebrachte Schaltpanel war nur teilweise angeschrieben. So fanden wir die Kompassbeleuchtung etwa nicht, es war ein einfacher Kippschalter ohne Beschriftung. Der Rest am Panel war so klein beschriftet, dass man es nur mit einer Stirnlampe kniend entziffern konnte. In unserer Doppelstockkoje konnte man nur einzeln eintreten, musste sich nach der rechten Seite hin drücken, dass man die Tür schliessen und nach rechts gelangen konnte. Kein Vergleich zur aussergewöhnlich grosszügig bemessenen Doppelkoje im achterlichen Eignerbereich. In der engen Gästekabine hatte es nicht mal einen Stromanschluss. Dass das Essen immer ein wenig zu wenig war, bemängelte Harry. Er habe sich zwar vorgenommen, etwas abzunehmen, aber doch nicht auf diese Weise. Überhaupt komme man sich immer wie ein Dieb vor, wenn man etwas aus dem Kühlschrank holte, der unter der absoluten Befehlshoheit von Madam stand. Dass Eduard die elektronische Navigation erst in der Strasse von Bonifacio einschaltete, weil er dann doch nicht immer hoch und runter wollte, verstanden wir nicht. Er verstand und beherrschte die elektronische Navigation nicht, ich musste ihm zeigen, wo in der Bedienungsanleitung stand, wie man die Bootsgeschwindigkeit einschalten konnte. Ein weiterer Punkt für den perfekten Skipper. Wir mutmassten auch, was wohl noch alles kaputt ginge, denn nach Dieselschlauch, Logge, verklemmter Schot und ausgestiegenem Bugstrahler, sei ja wohl noch einiges zu erwarten. Bald wurde uns klar, dass es nur eine vernünftige Lösung gab: Abheuern.
Am nächsten Morgen setzten wir uns noch einmal zusammen. Vergebens. Als er dann merkte, dass wir so mit uns nicht umspringen lassen und wir ihn auch kritisierten, meinte er, dann sei wohl klar, dass wir von Bord gingen. Wir antworteten, darauf laufe es hinaus. Dann müsse ja nichts mehr gesagt werden, meinte er ziemlich eingeschnappt. Ein Kommunikationstalent der herausragenden Art.
Wir buchten übers Internet unsere Heimflüge, um 15 Uhr waren wir von Bord. Grosszügigst bezahlte er unsere Heimflüge – als vor dem Ingenieurstudium ausgebildeter Matrose der Handelsschifffahrt wusste er nur all zu gut, dass ein Skipper für die Heimreise seiner Crew zu sorgen hat. Zudem kam er damit billig weg, für all die von uns geleistete Arbeit. Der Anteil Bordkasse, den wir ausbezahlt kriegten, war dagegen knickrig, wenn ich an die vollgebunkerte «Eldire» dachte. Scheiss drauf – nix wie weg. Wes Geistes Kind der Skipper ist und wieviel menschliche Qualitäten er aufweist, bewies er beim Abschied gleich noch einmal: Als wir ihnen eine gute Weiterreise wünschten und ihm die Hand zum Abschiedsgruss hinstreckten, schaute er einfach in die andere Richtung. Nicht einmal Madame reagierte so kindisch.
Endlich konnte ich auch die den Bootsnamens richtig deuten: «el» im Spanischen ist der bestimmte männliche Artikel und kann je nachdem der, die oder das bedeuten. Z.B. el sol, die Sonne, el hijo de puta, der Hurensohn oder el pasado, das Vergangene.
Jetzt müssen wir uns einer anderen Sprache zuwenden denn «dire» heisst im Englischen schrecklich, entsetzlich oder grässlich. Also bedeutet der Bootsname der Entsetzliche, die Schreckliche oder das Grässliche – oder alles zusammen!. So viel Selbstkritik kann einem Skipper wie Eduard natürlich nur unbewusst im Traum einfallen! Freud hätte seine Freude daran gehabt.
 
von Marius Sax