SEGLERVEREINIGUNG MAMMERN
Wir segeln aus Leidenschaft
, Schulze Kerstin

Marius Sax - vom Atlantik in den Pazifik

An die Ränder von Gesellschaft und Existenz - Eine 5-monatige Segelreise von den Kuna Yalas durch den Panamakanal zu den Galapagos, den Marquesas, einigen Atollen der Tuamotus und den Gesellschaftsinseln Tahiti, Moorea, Huahine, Tahaa, Bora Bora und Raiatea.

Eine Segelreise vom Atlantik in den Pazifik – an die Ränder von Gesellschaft und Existenz

Eine 5-monatige Segelreise von den Kuna Yalas durch den Panamakanal zu den Galapagos, den Marquesas, einigen Atollen der Tuamotus und den Gesellschaftsinseln Tahiti, Moorea, Huahine, Tahaa, Bora Bora und Raiatea.

Nach einer erfreulich ereignislosen Flugreise – ist nicht jede ereignislose Flugreise eine erfreuliche? – über Newark landete ich am 16. Februar in Panama Stadt, mit lediglich einer Stunde Verspätung, weil in Newark das Flugzeug erst hatte enteist werden müssen. In Panama Stadt wurde ich von Taxifahrer Roger, dem ehemaligen Dockmaster des Balboa Yacht Clubs, schon erwartet. Er brachte mich ins günstige Hotel Discovery. Von dort ging es frühmorgens in einem 4x4 Pickup in etwa vierstündiger Fahrt an die Atlantikküste ins Stammesgebiet der Kuna, von wo ich dann eine Überfahrt in einem Einbaumboot nach Carti erhielt, dem gleichnamigen Ort auf der ersten der von den Kunas bewohnten Inseln des San Blas Archipels oder eben in ihrer Sprache der Kuna Yalas. Diese über 360 Inseln und Inselchen – hier gibt es sie wirklich, die Schiffbrüchigen-Inseln mit nur einer Palme! –  bilden eine Kette von der kolumbianischen Grenze bis zu El Porvenir, das etwa 70 Kilometer östlich von Colon liegt. Auf diesen Inseln leben rund 25'000 Angehörige des Volkes der Kuna. Der grösste Teil dieses Gebietes ist durch vorgelagerte Korallenriffe oder –inseln gut geschützt. Die Navigation muss wegen der vielen Riffe und Inseln zwar sehr sorgsam ausgeführt werden, ist dann aber problemlos.

Da reibt man sich die Augen
Bereits im Taxi zu den Ablegeorten der Einbaumboote, die heute meist von einem Aussenborder angetrieben werden, begegnet man den Kuna. Die Kuna sind ein indigener Volksstamm von freundlichen, aufgeschlossenen und selbstbewussten Leuten. Ihr Selbstbewusstsein steht in gewissem Gegensatz zu ihrer körperlichen Grösse: Die Kuna gelten nämlich nach den Pygmäen als zweitkleinstes Volk der Erde. Noch bevor ich am Pier in Carti angelangt war, entdeckte ich die «Wonderland», jene 40-Fuss Nordic Yacht auf der ich vor drei Jahren einige Tage gesegelt hatte und die nun für fünf Monate mein Zuhause sein würde. Eignerin Evi und Jim, welcher die Yacht die letzten 12 Monate in den Kuna Yalas gehütet hatte, beendeten just das Ankermanöver. Ich bat also meinen aqua taxista kurz anzuhalten, begrüsste beide und stieg an Bord. Anschliessend räumte ich meine Tasche aus und das knappe Schapp ein. Gern war ich bereit, noch kurz an Land zu gehen und Carti etwas kennen zu lernen und einige Einkäufe zu tätigen. Zunächst ist auffallend, dass Carti sehr dicht besiedelt ist. Man reibt sich tatsächlich die Augen und glaubt sich in eine andere Zeit versetzt: Da stehen die aus Schilf und Bambus gebauten Häuser so eng beieinander, dass man nur hintereinander gehen kann. Als wir auf der Suche nach einem Restaurant waren – Jim wusste ungefähr, wo es war – kamen wir über verschiedene Hinterhöfe und durch mehr als einen Aufenthaltsraum, was aber für die Bewohner ganz normal war. Jedenfalls grüssten sie freundlich und das eine oder andere Mal wollten sie uns Molas verkaufen. Molas werden die traditionellen Nähkunstwerke der Kuna-Indianer genannt. Es handelt sich um in Handarbeit genähte rechteckige figürliche oder geometrische Motivbilder, die aus Stoffresten bestehen und die in mehreren Lagen miteinander vernäht werden. Die Kunst der Molanäherei entstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts und ihr Ursprung liegt in der Körperbemalung. Die Frauen, welche die Molas herstellen, tragen Beinschmuck aus bunten Perlen um die nackten Unterschenkel. Ihre schwarzen Haare sind im Nacken kurz geschnitten, Folge einer «Beschneidungszeremonie» zum Erwachsenwerden. Viele tragen einen goldenen Ring durch ihre oft geschwungenen Nasen. Die Häuser, in ihrer traditionellen Bauweise aus Schilf und mit Palmblättern gedeckt, sind angenehm gekühlt, im Gegensatz zu den häufiger werdenden Gebäuden aus Stein oder Beton mit den Wellblechdächern. Die Küchen sind meist etwas abgetrennt, was wohl am offenen Feuer liegt, auf dem gekocht wird und das ab und an zu einem Hausbrand führt. Natürlich haben die Häuser weder befestigte Böden noch abschliessbare Türen. Diese sind auch nicht nötig, denn auf den Kuna Yalas gibt es weder  Gewalt noch Diebstahl.

Traditionell oder modern
Die Kuna, oder Tule wie sie sich oft auch nennen, haben sich der Unterwerfung durch die Zentralregierung von Panama widersetzt. Dieser Widerstand richtete sich vorab gegen das Verbot ihrer Traditionen und Lebensweise. Der erfolgreiche Aufstand vom 25. Februar 1925  bildete den Grundstein für ihre teilweise Autonomie. Allerdings mussten die Indios noch jahrzehntelang kämpfen, bis schliesslich das semiautonome Gebiet Kuna Yala in den 50er Jahren etabliert war. Dieses zweifellos sehr wichtige Ereignis wird jedes Jahr mit einer grossen Revolutionsfeier begangen. Schon Tage zuvor wurden wir auf Carti Zeugen der Proben: Viele Jugendliche übten unter kundiger Anleitung in einer Art Volkstheater eine Nachstellung der Ereignisse jenes 25. Februars.  Die Kuna Yalas sind in vier Amtsbezirke (corregimientos) eingeteilt. Auf jeder Insel hat der Kongress, eine Gruppe von Leuten um den saila, also den Häuptling, das Sagen. Er bestimmt oft nach stundenlangen Diskussionen, was wie zu geschehen hat. So haben sich verschiedene Inseln der modernen westlichen Lebensart auch verschieden angenähert. Treffen auf Carti Tradition und Moderne ständig aufeinander und stehen in einem ständigen Austausch, wählten die Bewohner Narganas und des mit einer Betonbrücke verbundenen Corazon de Jesus’ die moderne Lebensart mit Television, Jeans, Internet, freiem Alkoholkonsum und ständig brummendem Generator. Die Bewohner der weniger als fünf Meilen entfernten Insel Tigre leben dagegen noch weitgehend traditionell, die einst gebaute Landepiste wird nicht mehr angeflogen und verwittert. Aber auch dort ist die Zeit nicht stehen geblieben, haben doch die meisten traditionell gebauten Schilfhäuser mit Palmdächern ein Solarpaneel vor dem Eingang.

Revolutionsfeier in Tigre
2010 gab es zwei Feiern zur Revolution: eine auf Carti, die andere auf Tigre. Wir nahmen an der zweiten teil, denn einerseits waren wir nur einige Tage zuvor auf der nahe gelegenen Green Island, andrerseits war Tigre traditioneller geblieben. Auf Green Island traf ich wieder Stefan Dürrich auf seiner «Sawadi», der schon über ein Jahr in den Kuna Yalas vor Anker liegt. Die gesamte Seglergemeinde wurde zu der Feier eingeladen. Auf dem Programm standen das Volkstheater, Tanz- und Musikaufführungen und last but not least das Chichatrinken im Gemeinschaftshaus. Die Chicha ist ein fermentiertes Mais- und Zuckerrohrgetränk, das nur zu Festanlässen angesetzt wird. Auch wenn es chicha fuerte genannt wird, ist der Alkoholgehalt nicht sehr hoch. Im grossen Kongresshaus teilen sich Männer und Frauen je hälftig auf. In Kalebassenschalen wird die Chicha gereicht. Man wird von einem Kuna zum Trank aufgefordert und muss dann zusammen mit ihm in kleinen Tanzschritten im Kreis sich drehen zum laut ausgerufenen He, He, He, He – Tomolandola! Dies ist dann der Zeitpunkt, an dem man die Schale Chicha hinunterstürzen darf.
Dies wird dann während Stunden getan, dazu wird geraucht und zwar auch von den Frauen. Da die Kuna auf Tigre den Alkoholkonsum nicht gewohnt sind und ihnen das für den Alkoholabbau zuständige Enzym ADH fehlt, kommt es häufig vor, dass eine oder einer überfordert ist. Was aber kein Problem darstellt: Sand drüber und weiter geht die Feier.
Irgendwann hatte ich dann von der Chicha genug und wechselte zu einem Bier im nahe gelegenen Restaurant. Da dort kein Tisch frei war, setzte ich mich an einen Tisch von Einheimischen, Fischern und Lehrern, wie es sich herausstellte. Beim Bier und Erzählen und Klönen, was ja nicht nur Lehrer gut können, unterhielten wir uns gut. Später landeten wir beim Erzählen von  Witzen. Da ich aus Kolumbien noch recht viele cuentos und chistes auf Spanisch kannte, konnte ich in der Runde sehr gut mithalten. Lachen lockert und verbindet, wir verbrachten einige gesellige Stunden. Beim Abschied luden mich die Lehrer zu sich in Colon ein, denn dort wohnten sie und dorthin kehrten sie in drei Tagen zurück. Die Einladung nahm ich natürlich gerne an, mussten wir für den Krantermin doch ebenfalls in fünf Tagen in Colon sein. Von Tigre segelten wir am nächsten Tag nach Nargana und von dort weiter nach Porvenir, der am westlichsten gelegenen Kunainsel, wo wir ausklarierten und ich den herrlichen Archipel mit mindestens einem weinenden Auge verliess.

Zurück in die triste Zivilisation
Bei zügigem Ostwind segelten wir von Porvenir zur Isla Grande, einem Wochenend-Paradies für die Panameños, wo uns die neue Welt mit Wellenschlag und Motorenlärm zum Kreischen der Touristen gnadenlos in Empfang nahm. Wir ankerten vor einem kleinen Strand, hatten dann aber keine Eile an Land zu gehen. Allerdings hatten wir gegen Viertel vor sechs schon Mühe, noch ein Boot aufzuhalten, das uns auf die Insel bringen würde. Dort bummelten  Evi und ich herum und kauften uns etwas zu essen - sie Eis, ich einige Empanadas und für Jim, der an Bord geblieben war, nahmen wir Crevettenreis mit - und hatten dann echt Mühe, noch jemanden zu finden, der uns zum Boot zurück brachte.
Am nächsten Morgen ging es zuerst unter Motor weiter zur Isla Linton, hinter der eine der wohl best geschützten Ankerbuchten liegt. Diese war denn auch voll mit Ankerliegern. Am Nachmittag erreichten wir Portobelo, unser letztes Tagesziel vor Colon.
Portobelo  ist eine kleine Touristenstadt mit rund 5000 Einwohnern  und etwa 30 km östlich des Zugangs zum Panamakanal bei Colón. Während der spanischen Kolonialzeit war Portobelo ein wichtiger, von mächtigen Forts beschützter Hafen. Die Festungen, von denen wir aber vom Schiff aus lediglich Mauerreste mit zwei Türmchen sahen,  wurden 1980 in die Liste des Weltkultur- und Naturerbes der Menschheit der UNESCO aufgenommen.
Die Bucht von Portobelo wurde bereits am 2. November 1502 von Christoph Kolumbus entdeckt. Der Hafen wurde schon vor der offiziellen Gründung rege benutzt. Die spanische Silberflotte segelte ab 1561 jeden August von Spanien zu diesem Hafen, was immer wieder Piraten zu Angriffen auf den Hafen lockte. 1596 starb der englische Freibeuter Francis Drake an Fieber, während er versuchte den Hafen zu erobern und zu plündern.
Aufmerksamkeit war auf der nächsten Etappe gefordert, näherten wir uns doch der Einfahrt zum Panamakanal mit entsprechendem Schiffsverkehr. Während man auf die nicht allzu breite Einfahrt zwischen den mächtigen Wellenbrechern zufährt, fragt man sich immer wieder, welche Schiffe nun vor Reede liegen und welche sich bewegen. Gutes Beobachten war da gefragt, was mit unseren sechs Adleraugen kein Problem war. Die Shelter Bay Marina, wo wir noch am selben Tag auswassern sollten, liegt auf der rechten Seite unmittelbar hinter dem mächtigen Wellenbrecher. Bei der Einfahrt zur Marina funkte Evi kurz das Hafenbüro an und wir durften im Kranbecken festmachen. Kurze Zeit später war Alan da, der zuständige Mann von der Marina, und die «Wonderland» wurde an Land gehoben.

Hart ist das Seglerleben an Land
Während es für Landratten wohl eine Wohltat ist, wieder festen Boden unter den Füssen zu haben, macht sich der Seemann Sorgen: Kein kühler Seewind mehr, Hitze, Mücken und was er natürlich auch noch weiss: Es steht ein gerüttelt Mass an Arbeit bevor! Wenn ich an all die Arbeiten denke, weiss ich gar nicht, wo beginnen... Zunächst mal Aus- und Aufräumen, Grosswäsche mit allen Laken, Wasserkanister leeren und wieder auffüllen, Mastfuss abdichten, MaxProp-Propeller de- und wieder ohne Spiel montieren, Stopfbuchse ersetzen, alte Batterien entsorgen – die rund 20 kg schweren Dinger die Leiter runter zu schleppen war kein Schoggijob –  und neue besorgen und montieren, Wassermacher installieren – inklusive neuer Ventile, Leitungen und Anschlüsse, Segel runternehmen und zur Reparatur bringen, das Gross ersetzen, die Rettungsinsel zur Revision bringen und last but not least das Unterwasserschiff überholen. Ich weiss nicht, wie oft ich die Leiter rauf und runter kletterte. Und viele Ersatzteile waren erst irgendwo in Colon aufzutreiben, was mir dank meines Spanischs immer und speditiv gelang. Wenn sie denn überhaupt erhältlich waren.
Glücklicherweise gab es zwischendurch eine grosse Abwechslung: Evi schickte Jim und mich als Handliner auf Chris’ Yacht «Moonshine» durch den Panamakanal, um
Erfahrungen für unsere eigene Passage zu sammeln: noch so gerne!

Das erste Mal durch den Panamakanal: That’s a Y-job!
Manch einer stellt sich eine Kanaldurchfahrt wohl langweilig oder öd vor. Dies ist aber sicher beim Panamakanal anders, ist dieser doch über mehr als die Hälfte kein Kanal, sondern ein betonntes Fahrwasser durch den riesigen Gatunsee. Dieser ist zwischen 1907 und 1913 durch die Anstauung des Rio Chagres entstanden und war seinerzeit der grösste künstliche See. Seine Staumauer ist 2300 m lang und 32 m hoch. Die Breite beträgt an der Basis 640 m, an seiner Krone, welche 9 Meter über die Wasseroberfläche hinausragt, noch 30 m. Innerhalb dieses Sees liegt ein Archipel aus unzähligen Inseln. Auf der grössten, der Barro Colorado Island, steht die gleichnamige Forschungsstation zur Beobachtung des tropischen Regenwaldes des Smithsonian Instituts.
Gegen halb vier fanden wir vier Handliner uns auf  der«Moonshine» ein, damit wir rechtzeitig bei den sogenannten flats auf der linken Seite vor der Kanaleinfahrt sein konnten, um dort den Lotsen an Bord zu nehmen. Wir fuhren – wie in der Regel alle Segelyachten – am späten Nachmittag in den Kanal ein, im Päckchen mit einer weiteren Yacht und passierten im letzten Tageslicht und bei leichtem Regen die Gatun-Schleuse, ein Set von drei Schleusen à knapp 9 Meter Höhe und machten an einer der beiden Tonnen auf der linken Seite im Gatunsee auf 26 Metern über Meereshöhe fest. An der gleichen Tonne machte ein weiteres Segelboot fest.
Morgens um sechs ist Tagwache, denn der neue Lotse soll bereits  um sieben an Bord kommen. Mit einer guten Viertelstunde Verspätung trifft er ein, macht dann aber gleich auf dalli, dalli. Da immer noch ein kräftiger achterlicher Wind weht, dürfen wir zur Motorunterstützung die Genua setzen. So sind wir mit beinahe acht Knoten – offiziell die neue Mindestgeschwindigkeit, die aber von kaum einer Yacht unter 15 Metern eingehalten werden kann – unterwegs, mal auf der linken, mal auf der rechten Seite des Fahrwassers. Dort bleibt man gerne auch freiwillig, denn wenn die Schiffe der Panamax-Klasse überholen oder kreuzen, will man denen nicht im Weg sein - geschweige denn, wenn ein zweiter kreuzt oder ein Schlepper überholt, denn nah genug ist man ihnen für einen anständigen Adrenalin-Kick eh schon!
Die Panmax-Schiffe sind um 294 Meter lang, 32 Meter breit und haben einen Tiefgang, der nur wenige Zentimeter über 12 Meter ist. Damit ihr Tiefgang nicht zu gross ist, dürfen sie nicht mit ihrer maximalen Zuladung beladen werden, wenn sie den Kanal passieren wollen. Den Tiefgang so abzustimmen, dass das Schiff bei maximaler Beladung noch den zulässigen Tiefgang einhält, ist schwierig und stellt eine Herausforderung für die Ladeoffiziere dar. Dabei ist zu beachten, dass der Gatunsee aus Süsswasser besteht und dort der Auftrieb einige Prozent geringer als im Seewasser ist.
Bevor wir zur Pedro-Miguel-Schleuse auf der Pazifikseite kommen, werden wir plötzlich gestoppt und müssen warten. Der Grund: eine Sprengung im Kanal. Dass auf der gesamten Kanallänge von 81,6 km emsig gearbeitet wird, liegt an der Vergrösserung: Da heute viele Schiffe die Grösse der Panamax-Klasse übertreffen, wird der Kanal ausgebaut und mit neuen Schleusen versehen, die 55 Meter breit, 427 Meter lang und 18,3 Meter tief sein sollen. Der neue Kanal soll zur 100-Jahr-Feier 2014 fertig gebaut sein.

Ein bisschen Geschichte
Der Bau des Kanals geht ins 19. Jahrhundert zurück, erste Ideen gehen gar zurück ins 16. Jahrhundert. So soll 1534 ein spanischer Priester, der über die Möglichkeit eines Kanals nachgedacht hatte, gesagt haben: «Es gibt Berge hier, aber ebenso Hände und für einen spanischen König sind wenige Dinge unmöglich.» Aber es sollte dann doch noch 250 Jahre dauern, bis man den ersten Versuch unternahm.
Nach dem finanziellen Erfolg des 1869 eröffneten Suezkanals glaubte man in Frankreich, dass ein Kanal, der Atlantik und Pazifik miteinander verbindet, ebenso einfach zu bauen wäre. Diese Gedanken nahmen Gestalt an, als 1879 durch französisches Gesetz die Panamakanal-Gesellschaft gegründet wurde, zu deren Präsidenten der 73-jährige Graf Ferdinand de Lesseps ernannt wurde, der Erbauer des Suezkanals. Die Panamakanal-Gesellschaft übernahm eine Konzession der kolumbianischen Regierung und begann 1881 mit den Arbeiten, die bis 1889 andauerten. Gebaut werden sollte ein schleusenloser Kanal, der Aushub sollte 120 Millionen Kubikmeter nicht übersteigen. Eine Aktiengesellschaft wurde zur Finanzierung gegründet und versprach genauso hohe Rentabilität wie die Suezkanal-Aktien. In der Bauzeit von 1881 bis 1889 starben bei dem Bau 22’000 Arbeiter in der Sumpflandschaft an Gelbfieber und Malaria. Mehr Opfer hatten bis dahin nur Kriege gefordert!
Der Bau musste nicht zuletzt auch deshalb abgebrochen werden. 1887 revidierte Ferdinand de Lesseps unter dem Druck der schlechten Finanzlage die Pläne und schloss mit dem Ingenieur Gustav Eiffel einen Vertrag ab, um einen Kanal mit Schleusen bis 1890 herzustellen. Die Kosten für den Schleusenkanal wurden auf 1,6 Milliarden Goldfranken geschätzt. Wegen Planungsmängeln, falschen geologischen Untersuchungen, schlechter Organisation, Bestechung, unzähliger technischer Schwierigkeiten und Pannen gaben die Franzosen schliesslich auf und stellten die Arbeiten 1889 ein. Das ehrgeizige Projekt endete in einem Desaster, nachdem rund ein Sechstel des Kanals fertig gestellt war. Die Arbeiten mussten auch eingestellt werden, weil es nicht gelang, eine neue Trägergesellschaft zu konstituieren und die alte Panamakanal-Gesellschaft mit Sitz in Paris im Februar 1888 bankrott gegangen war und zum größten Finanzskandal des 19. Jahrhunderts in Frankreich beitrug und zahlreiche Akteure hinter schwedische Gardinen brachte.


Die Amis richtens
1894 übernahm eine Auffanggesellschaft die Fortführung der Arbeiten und verkaufte 1902 den Gesamtkomplex für 40 Millionen US-Dollar an die USA, die etwa 40 Prozent der bis dahin geleisteten praktischen Arbeiten verwenden konnten. Die USA hatten sich bereits vorher mit verschiedenen Kanal-Projekten einer Durchquerung Mittelamerikas beschäftigt, waren jedoch bis dahin zu keinem praktikablen Ergebnis gelangt. Nach dem Kauf verlangten die USA von Kolumbien die Abtretung des Panamakanalgebiets. Kolumbien weigerte sich, es entstand der Panamakonflikt.
Im November 1903 landeten US-Truppen, besetzten das Gebiet und riefen den unabhängigen Staat Panama aus. Die US-Regierung glaubte, so schneller den Bau des aus strategischen Gründen für absolut notwendig erachteten Kanals zu erreichen. Gemäss einem Vertrag über die Nutzung der Kanalzone, der am 26. Februar 1904 in Washington ratifiziert wurde, sollten die USA fortan die Oberhoheit auf einer Breite von jeweils 5 Meilen beiderseits der Kanaltrasse erhalten.
Die USA kontrollierten damit eine Kanalzone in einer Größe von 84’000 Hektaren. Im Gegenzug mussten sie aber die territoriale Souveränität Panamas zusichern. Der Vertrag sah zudem die Zahlung von 10 Millionen US-Dollar vor, sowie eine ab 1913 beginnende jährliche Zahlung von 250’000 US-Dollar in Gold.
Im April 1905 übernahm John Frank Stevens die Leitung des Kanalbaus für zwei Jahre. Er erkannte, dass die Krankheiten  die grössten Schwierigkeiten darstellten und dass er zuerst die Lebensbedingungen der Arbeiter verbessern musste. Mit seinem Einsatz erwarb er sich ihren Respekt, so dass er sich der eigentlichen Herausforderung stellen konnte: Der Planung der Logistik und dem Aufbau der Organisation. Als er damit fertig war, kündigte er überraschend. In der Folge übernahm ein Generalmajor der US-Armee  die Leitung. Die Kosten des nun mit Schleusen und Stauseen erbauten Panamakanals beliefen sich auf 386 Millionen US-Dollar, und während der Bauarbeiten von 1906 bis 1914 starben nochmals 5’609 Arbeiter an Unfällen und Krankheiten. Insgesamt forderte der Bau des Panamakanals somit etwa 28’000 Menschenleben.
Am 15. August 1914 erfolgte die erste Durchfahrt durch den heutigen Panamakanal. Wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs wurden die Eröffnungsfeierlichkeiten abgesagt und erst 1920 nachgeholt.

Einige Zahlen zum Kanal
Der Panamakanal ist total 81,6 Kilometer lang. Er verläuft zwischen den Städten Colon an der Atlantik- und Panama-Stadt an der Pazifikküste und führt durch den aufgestauten Gatunsee. Für die Benutzung muss ein Lotse an Bord genommen werden. Wir hatten für die Durchfahrt die Gebühr für Yachten unter 15 Meter, 600 $,  zu bezahlen und mussten vier 38 Meter lange Leinen und alte, eingepackte Autoreifen mieten. Die Einnahmen von den Yachten sind für die Kanalkommission marginal. Das grosse Geld kommt von den Schiffen der Panamax-Klasse und Kreuzfahrtschiffen. So bezahlten das panamaische Containerschiff «MSC Fabienne»  im Mai 2008 Gebühren von über 317'000 $, das Kreuzfahrtschiff «Norwegian Pearl» ein Jahr zuvor 313'000 $. Der Preis der Passage wird nach Art und Größe des Schiffes berechnet und beträgt durchschnittlich
48'000 $. Schiffe der sogenannten Panamax-Klasse zahlen rund 150’000 $ pro Passage. Die Bezahlung der Passagegebühren erfolgt normalerweise im Voraus durch die Reederei an eine lokale panamaische Bank. Die geringste Gebühr bezahlte mit 36 US-Cent der Journalist und Abenteurer Richard Halliburton, der den Kanal 1928 in acht Tagen durchschwamm.
Vor dem Bau des Kanals führte die kürzeste nutzbare Seeverbindung von der Ostküste zur Westküste Nordamerikas durch die Magellan-Strasse. Durch den Kanal wurde die Seestrecke New York – San Francisco von 30’000 km auf zirka 10’000 km verkürzt. Die Durchfahrtszeit beträgt regulär acht bis zehn Stunden, wegen des starken Verkehrs heute durchschnittlich zwölf Stunden.
In Panama arbeiten rund 8000 Menschen in Verwaltung, Betrieb und Instandhaltung des Kanals. Seit der Eröffnung bis Ende 2006 haben über 942’000 Schiffe den Kanal durchfahren Vor allem für die Seefracht von und nach China, Japan und den USA ist der Kanal von großer strategischer Bedeutung. Die Kanalgesellschaft erzielte 2005 einen Jahresumsatz von 1,36 Milliarden US-Dollar.
Im Jahr 2005 wurde der Kanal von circa 14’000 Schiffen genutzt. Die transportierte Warenmenge entspricht 6 % des Welthandels, aber 68 % aller Waren, die in US-Häfen be- oder entladen werden; für China 23 % und für Japan 16 %. Entscheidend ist der Kanal sowohl für den Transport von der Ost- zur Westküste der USA als auch für die Importe aus Asien, soweit sie zur Ostküste der USA transportiert werden.
Die 12 Schleusenkammern  fassen je 101’000 m³ Wasser. Die Füllzeit pro Kammer beträgt 8 Minuten.
Die 46 Schleusentore sind 25 m hoch und wiegen jeweils über 730 Tonnen. Jede Schleusung verbraucht etwa 197 Millionen Liter Süsswasser.

Panama Stadt und wieder Colon
Die Durchfahrt mit «Moonshine» erfolgte problemlos im Päckchen mit einer belgischen Jeanneau, deren Eigner die Yacht nach Panama Stadt verkauft hatte. Zum Glück wurde uns vor dem Balboa Yachtclub eine Boje zugewiesen; Jim und ich blieben noch mit Chris an Bord, während die beiden anderen Handliner so schnell als möglich nach Colon zurück wollten. Der eine um dort weiter auf seine Heuer, die er vom Kapitän auf Hirschmann Seniors Megayacht noch zugute hatte, zu warten; der andere um zu seiner Freundin in Bocas del Toro, eine auch bei Seglern beliebte und bekannte Destination, zurückzukehren. Nach einer Dusche im Yachtclub, nahmen wir ein Taxi zur Flamingo-Bucht, wo sich neben einem Hafen auch viele Ankerlieger befanden. Chris fand dort einen Freund, ich verabschiedete mich von ihnen, nachdem ich ein kolumbianisches Restaurant entdeckt hatte, welches Chicharron anbot. Aus Nostalgie konnte ich dem nicht widerstehen. Wir verabschiedeten uns und wollten uns später im Yachtclub wieder treffen. Dort fand ich die beiden aber nicht und schlug mir die Nacht in Panama Stadt alleine um die Ohren. Gegen Mitternacht kehrte ich auf die «Moonshine» zurück und fand beide an Bord. Wir plauderten ein Weilchen, irgendwann bin ich dann im Cockpit eingeschlafen und fand erst spätnachts meine Koje. Anderntags war gegen Mittag noch keine Regung auf dem Boot, die beiden brauchten wohl noch etwas mehr Erholung. Nach der Morgentoilette und einigem Warten weckte ich Chris und verabschiedete mich von ihm, um im Balboa Yachtclub am Meeting zum Pacific Puddle Jump Rally teilzunehmen, an welchem auch Evi teilnehmen wollte. Diese Veranstaltung wird von der Yachtzeitschrift «Latitude 38» in Zusammenarbeit mit dem Tourismusbüro von Tahiti organisiert und begleitet jeweils die Yachten, welche von der amerikanischen Westküste nach Französisch Polynesien unterwegs sind. So soll vor allem der gesellschaftliche Aspekt und der Austausch von Information gefördert werden. Die Veranstaltung, an der ich auf Evi traf, war denn eher eine Promo-Veranstaltung der beiden Organisatoren mit vielen belanglosen und teilweise auch falschen Informationen. Die Bemerkung, man erreiche die Marquesas kaum mehr, wenn man auf die Galapagosinseln segle, verunsicherte uns nur für kurze Zeit und war später auch nie mehr ein Thema. Daneben gab es Drinks, Snacks und Wettbewerbe. Einigermassen erstaunt stellten wir fest, dass weder Jim noch Chris auftauchten. Am späten Nachmittag verliessen wir den Yachtclub und machten im Einkaufszentrum Albrook einen kurzen Zwischenhalt um Ersatzteile zu besorgen, bevor wir mit dem Bus nach Colon zurück fuhren.

...und dann das
Während Evi sich um den Willkomm ihrer Nichte und ihres Freundes kümmerte, besuchte ich meine Kuna-Freunde Belisario und Victor in Colon. Sie leben in einem Kuna-Quartier unter sich, von der Hauptstrasse durch ein Schwarzenviertel abgetrennt. An diesem Abend hatten etwa ein halbes Dutzend Kuna-Lehrer ein Treffen, bei dem Bingo gespielt und Bier getrunken wurde. Auch eine lange Diskussion zu den Beiträgen und Darlehensbedingungen fand statt. Interessant war, wie sich im Verlauf der Diskussion alle meldeten und sich dann nach und nach eine Meinung heraus schälte.
Am Sonntag und Montag warteten wir vergeblich auf Jim, erst am Dienstagnachmittag tauchte er dann plötzlich auf mit einem zerschlagenen Gesicht und einem tiefblauen Auge. Sie hätten ihn in Panama überfallen wollen, worauf er sich aber gewehrt und dabei das Veilchen eingefangen habe. Weil jetzt so viele Leute an Bord seien, zöge er es vor, noch eine Nacht im Hotel in Colon zu verbringen und seine Party noch etwas fortzusetzen. Am nächsten Tag wollte er wieder kommen – wer dann aber kam, war die Polizei. Am frühen Nachmittag hatte ein Zimmermädchen im Hotel den leblosen, nackten Leichnam des Amerikaners James Lloyd Lane gefunden, unser Jim. Evi müsse sich zur Verfügung der Polizei halten, ein Sargento  XY sei für den Fall zuständig, wurde dem Manager des Yachtclubs noch ausgerichtet.
Also machten wir uns am nächsten Tag zum Gerichtsmedizinischen Institut auf, um den Sargento zu treffen. Es dauerte seine Zeit, bis wir den zuständigen Beamten ausfindig gemacht hatten. Nachdem dieser gemerkt hatte, dass meine Spanischkenntnisse ausreichend waren, wurde ich halboffizieller Übersetzer. Man gab mir den Polizeibericht zu lesen. Darin stand, dass neben der nackten Leiche mehrere Nadeln und eine weisse Substanz gefunden worden war. Man wollte von Evi unter anderem wissen, ob sie etwas vom Drogenkonsum Jims gewusst habe und dann insbesondere, was das Sturmfeuerzeug sei. Dieses Feuerzeug mit einer bunsenartigen Flamme, das die Form einer Pistole hat,  verwendeten wir an Bord, um die Enden der Leinen zu verschmelzen. Jim hatte es offenbar von der «Wondy» mitgenommen und zweckentfremdet. Aufgrund der Gesichtsverletzungen dachte die Polizei zunächst an ein Verbrechen. Wir erklärten dem Sargento den Sachverhalt. Dem Beamten wurde schnell klar, dass wir vom Drogenkonsum nichts gewusst hatten. Mir ist bis heute nicht klar, ob er während unserer Zeit in den Kuna Yalas clean war. Aber in Sachen Vertuschen und Verheimlichen sind die Junkies ja bekanntlich Meister. Erstmals erfuhr ich allerdings, dass Jim schon früher ein Drogenproblem gehabt und als Computer Experte an der Wallstreet gearbeitet hatte...
Evi musste dann die Angehörigen informieren – das fiel ihr nicht leicht, denn sie kannte Jims Mutter –  und eine notariell bestätigte Vollmacht erhalten, damit wir bemächtigt waren, alles im Zusammenhang mit diesem Todesfall Stehende zu erledigen. Eine hilfreiche Sekretärin schrieb dann den Text auf Spanisch, ich übersetzte ihn ins Englische und dann faxten wir ihn Jims Mutter. Was alles so einfach tönt, aber nicht war, denn sie hatte kein Faxgerät usf. Telefonate, SMS und Emails hin- und zurück wechselten sich ständig ab. Schliesslich mussten wir noch Kontakt aufnehmen mit der US-Botschaft in Panama, welche auch informiert worden war. Allerdings wurde schnell klar, dass die keine Hilfe waren und wir erledigten alles ohne sie. Irgendwann traf dann die Vollmacht ein und wir dachten erleichtert, dass es das nun gewesen sei. Mitnichten!

Flirtender Gerichtsmediziner stiehlt unsere Zeit
Schnell war uns allerdings klar geworden, dass wir auch am Freitag nochmals in der Gerichtsmedizin erscheinen mussten; einerseits um den Leichnam in der Morgue abzuholen, andrerseits um Jims Hab und Gut abzuholen. In der Zwischenzeit hatte ich einem Beerdigungsinstitut telefoniert und erfahren, dass die billigste Kremation inklusive schmuckloser Plastikurne 680 $ koste.
Während Evi und ich in der Stadt mit Jims Überresten beschäftigt waren, arbeiteten Libby und Tib wacker auf der «Wondy» weiter: Libby war klasse im Ausräumen und benützte es, dass ihre Tante weg war und warf (fast) alle zum Teil Jahre alten Lebensmittel weg, respektive verschenkte die noch etwas besseren den Werftarbeitern. Schiffsingenieur Tib ersetzte die Batterien und installierte den Wassermacher, so dass nicht beide Tage verloren gingen.
Am Freitagmorgen lernten wir in der Gerichtsmedizin Candy kennen. Candy ist eine 60-jährige Schwarze, Angestellte eines Beerdigungsinstituts und sprach sehr gut Englisch. Sie trägt ihre Haare gestreckt und blondiert, hat eine Zahnlücke und eine kehlige Baritonstimme. Sie bot uns an – sie hatte von meiner Offerte gehört – die Kremation inklusive Plastikurne für 650 $ zu besorgen. Da sie sowohl eine gewinnende Art hatte, als auch jeden und jede an der Gerichtsmedizin zu kennen schien, willigten wir ein. Auch versprach ihre forsche Art einen zügigeren Ablauf. Dies war umso wichtiger, als uns langsam die Zeit davonzulaufen drohte.
Inzwischen war die Vollmacht eingetroffen und der Totenschein mit dem wir den Leichnam aus der Morgue holen konnten, sollte uns übergeben werden. Der Angestellte, der das tun sollte, bemerkte dann allerdings, dass der Gerichtsmediziner vergessen hatte, den Todeszeitpunkt und die Todesursache anzugeben. Dieser junge Mediziner war mir schon vorher aufgefallen, denn mehr als um seine Arbeit hatte er sich um eine hübsche Sekretärin gekümmert. Nun aber war er ausser Haus. Und dann war Mittag und bis 14 Uhr das Institut geschlossen. Die Zeit wurde definitiv knapp, mussten wir doch auch noch auf der Hafenbehörde die Auslaufgenehmigung, den sogenannten Zarpe, holen und auf einer Bank die 600 $ für die Kanaldurchfahrt bezahlen, so dass wir am Wochenende den Kanal passieren konnten.

14 Uhr: Der Empfangsraum des Instituts öffnet seinen Schalter. Vom Gerichtsmediziner ist aber nichts zu sehen. Candy hat den Leichenwagen organisiert, der nun vor dem Institut auf der Strasse steht.

14.10 Uhr: Der Gerichtsmediziner erscheint endlich und vervollständigt den Totenschein ohne Bemerkung. Todesursache: Herzinfarkt.

14.15 Uhr: Wir fahren zum Spital, wo vor der Herausgabe des Leichnams noch die Gebühr für die Benutzung des Kühlraumes zu bezahlen ist. Evi und ich mit dem Fahrer des Buick Eureka – nomen est omen? – vorne, Candy hinten. Ich soll das übernehmen, Evi und Candy wollen in der Zwischenzeit zum Hafenbüro und zur Bank fahren.

14.20 Uhr: Die Schlange vor der Spitalkasse wird kleiner...

14.30 Uhr: Endlich darf ich bezahlen.
14.40 Uhr: Mit der Quittung begebe ich mich zum Leichenschauraum.

14.50 Uhr: Ich werde angewiesen, mich vor eine Vitrine zu stellen. Hinter der Scheibe wird Jims Leiche auf einer Rollbahre hingestellt. Der Vorhang wird zurück geschoben, ich identifiziere ihn.

15 Uhr: Der Leichenwagen wird beladen.

15.05 Uhr: Wir fahren zur Gerichtsmedizin und wollen seine Sachen holen. Insbesondere benötigen wir sein Geld, um die Kremation bezahlen zu können. Jim hatte kurz vor seinem Tod noch 400 $ abgehoben. Natürlich hat Evi in der Zwischenzeit auch alle seine Kreditkarten gesperrt und seine 100-$-Reserve aus seiner Hutkrempe geholt. Auf der Suche nach weiteren Geldverstecken an Bord – dies sei eine seiner Vorsichtsmassnahmen gewesen – hatte Evi leider auch meinen Kulturbeutel erwischt und den verklemmten Reissverschluss der Seitentasche kurzerhand aufgeschlitzt. Sie habe sich noch gefragt, weshalb so viele Toilettenartikel auf Deutsch angeschrieben seien, sagt sie mir. Da ich in dieser Sache befangen bin, enthalte ich mich eines Kommentars.

15.10 Uhr: Der Jurist am Gerichtsmedizinischen lässt uns ausrichten, dass wir Jims Eigentum nicht auslösen könnten, da davon in der notariell beglaubigten Vollmacht nichts stehe. Wir müssen die Vollmacht nochmals von Jims Mutter einfordern, mit dem Zusatz «und seinem Eigentum».

15.15 Uhr: Die Leiche im Buick draussen taut auf. Wir müssen sie in den Kühlraum von Candys Beerdigungsinstitut bringen lassen.

15.45 Uhr Mir schwant Böses. Schliesst das Institut freitags nicht schon um vier?

16 Uhr: Wir warten weiter auf den Fax aus den USA.

16.20 Uhr: Der Fax ist da. Nun wird Schein für Schein mit seiner 11-stelligen Nummer neben seinem weiteren Eigentum aufgelistet, was auch für geübte Sekretärinnen eine Weile dauert.

16.30 Uhr: Es reicht definitiv nicht mehr für die Kremation heute. Aber wir haben Glück: In Panama finden Kremationen auch am Samstag statt.

17,10 Uhr: Wir sind ziemlich geschafft, als wir das Gerichtsmedizinische Institut mit Jims Sachen verlassen und im Taxi zur Marina zurück fahren.

Same procedure as last week
Am Samstagmorgen musste Evi, die diesmal von Libby begleitet wurde, mit Candy nach Panama Stadt zur Kremation fahren. Ich fuhr nochmals zu meinen Kuna-Freunden, um dort Victor Junior als vierten Handliner zu engagieren.
Als sie zurückkam, wies sie mich an, die Asche der Urne auf mehrere Behälter zu verteilen, damit die Verwandten je ein Behältnis kriegten. So setzte ich mich dann auf den Steg mit einem Suppenlöffel aus der Kombüse bewaffnet und unter genauer Beachtung der Windrichtung machte ich mich an die Arbeit: Ein Löffel für Mami, ein Löffel für Papi, ein Löffel für die Schwester... Welchen Löffel ich für diese Aufgabe verwendet hatte, behielt ich für mich.
Am Sonntag mussten wir am Nachmittag bei den Flats bereit zur Kanaleinfahrt sein. Auch diesmal klappte alles ohne Probleme, ich fuhr im Päckchen mit der um einige Fuss grösseren Yacht «Woosh» von Jack in die Schleuse ein, denn der Lotse wollte mich am Steuer haben. Dann schloss sich das 25 Meter hohe und über 730 Tonnen schwere Schleusentor: Adios Atlantik! Am zweiten Tag liessen wir dann auch Victor Junior, er ist mit 27 Jahren das jüngste Kind der Familie, steuern, was ihm sichtlich Spass machte. Der Ablauf war fast identisch mit dem ersten Mal. Der einzige Unterschied war, dass wir in der Miraflores-Schleuse an einem Schlepper festmachten durften, was natürlich bequemer war. Pech hatten wir dagegen im Balboa Yachtclub. Obwohl ich telefonisch eine Boje reserviert hatte, war keine frei, weil eine Yacht dort mit Maschinenschaden hängen geblieben war. Also fuhren wir in die Flamingobucht hinaus und ankerten dort. Dort konnten wir auch Diesel und Wasser auffüllen, fast auffüllen, denn wegen des Filtrierens des Diesels fliesst nur sehr wenig rein und irgendwann verlieren dann die Tankstellenbetreiber die Geduld, vor allem wenn weitere Boote warten. Evi hatte eine lange Liste mit Sachen, die wir in Panama Stadt besorgen wollten. Neben Lebensmitteln für vier Personen und etwa sieben Tage. wollte sie eine neue und längere Ankerkette für den Pazifik kaufen. Ebenfalls wollte sie einen kleineren Aussenborder kaufen, da der rund 50 kg schwere 15 PS Yamaha für sie allein zu schwer war. Aber obwohl wir alle Schiffsausrüster abklapperten, blieben wir bei Kette und Aussenborder erfolglos. Dagegen fuhren wir im Taxi mit Roger in einen riesigen Supermarkt, wo wir wirklich fast alles kriegten – und zwar zu sehr guten Preisen.

Im Stop-and-Go-Modus  zu den Galapagos
Endlich, endlich konnten wir dann am 17. März unseren Anker lichten und unser nächstes Ziel, die Galapagosinseln, ansteuern. Der Nordost-Passatwind wehte zunächst mässig, bald aber recht stark, so dass wir zügig vorankamen. Wir versuchten, die Windfahne richtig einzustellen, was aber nicht wirklich gelang. Es wurde zwar mit der Zeit besser, aber plötzlich verliess die Yacht den Kurs wieder. Einmal so unvorteilhaft, dass eine Welle durch das fälschlicherweise noch offen stehende Fenster oberhalb meiner Koje eindrang, gerade am Ende meiner 3-9-Uhr-Schicht. Anstatt mich zur wohlverdienten Ruhe hinlegen zu können, musste ich jetzt wohl oder übel das Polster auswaschen und trocknen. In dieser Zeit verschwand übrigens auch unser blinder Passagier; ein kleiner, ziemlich erschöpfter Vogel, der sich tags zuvor unter Deck in eine der Hängematten gerettet hatte in denen wir Früchte aufbewahrten.
Dann war plötzlich der Wind weg und wir mussten motoren. Ein deutliches Zeichen dafür, dass wir in der innertropischen Konvergenzzone (ITC) angekommen waren.  Diese entsteht durch das Zusammenlaufen der Passatwinde aus Nord und Süd. Da im äquatornahen Gebiet die Sonneneinstrahlung am höchsten ist, wird der Boden und die darüber liegende Luft stark erwärmt, die Luft dehnt sich aus und steigt auf. Am Boden ist weniger Luft vorhanden, ein Tiefdruckgebiet entsteht. Die aufsteigende Luft kühlt sich ab, Wolken entstehen und es regnet kräftig, oft in Form von Gewittern. In der Theorie heisst es: Die generelle Windstille in diesem Teil der Ozeane wird mehrfach am Tag durch Platzregen und Gewitter mit stürmischen und stark drehenden Böen durchbrochen. Und die Praxis sah für einmal genau so aus. Es sah manchmal schon Furcht erregend aus, besonders nachts. Andrerseits bietet die Nacht, wenn das Wetter klar ist und der Mond nicht zu hell leuchtet, die Gelegenheit, die Sterne stundenlang zu beobachten und nach ihnen zu steuern. Libby, die auch an Sternbildern interessiert ist, hatte einen Sternenführer dabei. So konnten wir verschiedene Konstellationen ausfindig machen, die etwas schwieriger zu finden waren als Orion oder das Kreuz des Südens.
Nach etwa sechs Stunden unter Maschine, ruckelte diese plötzlich und stand still. Eine Stille, welche einem nicht behagte und gleich auch eine hektische Betriebsamkeit aller hervorrief. Schnell war die Ursache klar, denn die Dieselfilter waren ungemein schmutzig. Mit anderen Worten: Wir hatten Dreck im Tank, welcher sich wohl durch das teilweise starke Rollen vom Tankboden gelöst hatte. Um nicht wieder dasselbe Problem zu haben, beschloss Tib, den Diesel von einem unserer sieben neu gefüllten Zusatztanks, die an Deck lagerten, zu verwenden. Ein 5-Gallonen-Kanister wurde dazu auf der obersten Stufe des Niedergangs gesichert und der Diesel per Schlauch an den Filtern vorbei zur Dieselpumpe geführt. Der Dieselgestank war zwar nicht angenehm, aber wir waren wieder unterwegs.
Am dritten Morgen, ich hatte meine Frühschicht eben an Tib abgegeben und ihn auf die beiden in der Nähe zu sehenden Fischerboote hingewiesen – zu sehen war natürlich nur je ein Licht –und war in die Koje gestiegen, als ich kaum im Halbschlaf plötzlich Spanisch wahrnahm. Sofort stieg ich ins Cockpit und schaute mir die Bescherung an: Wir hatten die Leine eines Fischernetzes gefangen – oder umgekehrt. Da blieb nichts anderes zu tun, als mit Taucherbrille, Schnorchel und Messer bewaffnet rein ins Wasser zu steigen und die Leinen vom Ruder weg und aus dem Propeller zu schneiden. Nach ungefähr einer Stunde waren wir wieder frei. Dies war mein wohl salzigstes Frühstück!
So wie der Wind plötzlich weg war, so kam er auch wieder. Und mit ihm ein eleganter, rotschnäbliger Tropenvogel mit lang geschweifter Schwanzfeder. Er umkreiste uns während etwa vier Stunden. Es ist immer wieder erstaunlich, wie weit weg von jeglichem Land sich auf dem Wasser noch Insekten und Vögel befinden. Nach einem Tag mit angenehmen Winden, machte sich wieder eine Flaute breit und wir mussten die Maschine erneut starten. Nach einigen Stunden unter Maschine dann wieder dieses Ruckeln, wieder stand die Maschine still. Nach einem Kontrollblick in den Filter war klar, dass die Ursache diesmal nicht der Dreck im Diesel war. Tib prüfte dies und das. Plötzlich war sein Verdikt klar: Die Dieselpumpe war ausgestiegen. Also mussten wir auch diese mit einem Schlauch überbrücken. Da der Kanister, den wir nun gegen einen vollen austauschten, oben auf der Niedergangstreppe stand, reichte der Druck auch ohne Pumpe aus.
So gelangten wir am Morgen des siebten Tages in Sichtweite der Galapagos und fuhren zunächst an Santa Fe vorbei. Anschliessend fuhren wir um eine der Insel Santa Cruz vorgelagerte Insel herum, auf der die Woche zuvor der riesige Dreimast-Schoner «Alta» Schiffbruch erlitten hatte, und dessen drei Masten aus der Ferne für einige Verwirrung gesorgt hatten. Um halb zwei ankerten wir sicher in Porto Ayora, dem Hauptort auf Santa Cruz.

Vögel, Fische, Echsen, Schildkröten und Seelöwen
Dass die Galapagos ein Naturwunder sind, weiss man ja seit der Reise der «Beagle» unter Robert FitzRoy mit Passagier Charles Darwin an Bord. Und das ist ja immerhin schon 175 Jahre her. Werden die herrlichen Tieraufnahmen zwar der Fauna einigermassen gerecht, ist man doch überwältigt von ihrer Fülle. Schon in der Ankerbucht beobachtete ich jagende Fische und Vögel, die Seelöwen lagen träge auf allen Booten, welche seit einiger Zeit nicht mehr bewegt worden waren. Unglaublich, wie behände die Fettkolosse – die Bullen erreichen immerhin 250 kg – sich auf die Decks hinaufrobben!
Auf dem Fischmarkt wurde der verkaufende Fischer nicht nur von einem Seelöwen kräftig angeschubst, damit er seinen Teil abbekam, auch ein halbes Dutzend Pelikane und eine Meerechse warteten mit interessierten Blicken. Ab und zu setzte sich gar ein Pelikan auf einen der zum Ausnehmen bereit liegenden Fische, meist Thun- und Schwertfische. Gab es für die Tiere noch eine Fluchtdistanz, dann war diese minimal. Zunächst mussten wir auf Galapagos einklarieren. Es wurde uns im Vorfeld mehrmals gesagt, dies sei nur mit einem Agenten möglich. Eine Agentur hatten wir angesprochen, die wollte allerdings 150 $ kassieren, liess dabei aber offen, was alles inbegriffen sei. Was solls, dachte ich mir, wir können das doch auch selbst. Also nahmen wir ein Taxi und liessen uns zur Immigrationsbehörde fahren, wo wir alles problemlos erledigen konnten. Dort trafen wir dann auch einen anderen Agenten, Ronny Sanchez, der uns darauf hinwies, dass fürs Einklarieren auf dem Hafenbüro doch ein Agent notwendig sei. Nachdem er uns diesen Dienst für 50 $ angeboten hatte, nahmen wir an. Und ich muss sagen, er erledigte in der Folge alles zügig und ohne Probleme. Ronny, der in seinem Hauptberuf für einen Mobilfunkanbieter arbeitete, trafen wir meist unten am Hafen; in seinem«Büro», dem Tagesrestaurant «El Guia», wo es üppige Mahlzeiten und sehr schmackhafte frische Fruchtsäfte gab. Mein Lieblingssaft war schon in Kolumbien der Guanabano-Saft. Die Guanabana ist eine grünliche Baumfrucht, auf Deutsch heisst sie Annone, ist ei- bis ananasgross, meist etwas länglich und ähnelt einer Riesenerdbeere oder Artischocke mit schuppiger Oberfläche. Ihr Fruchtfleisch, von dem die grossen fast schwarzen Samen entfernt werden, ist weiss, weich und cremig süss.
Porto Ayora war für uns ein guter Hafen, weil die aqua taxis 24 Stunden unterwegs waren und wir so unser Dingi vor den Seelöwen geschützt an Deck lassen konnten. Dies war umso wichtiger, als im Hafen von Porto Ayora fast ständig ein äusserst unangenehmer Schwell reinlief und die meisten unserer Besucher an Bord innert kürzester Zeit zunächst einmal kotzten. Dies ist mir selber zwar nie passiert, aber ich versuchte trotzdem meine Aufenthaltszeit an Bord zu minimieren, verweilte also nur zum Schlafen und Arbeiten dort. Das ermöglichte es mir auch, das rund 15'000 Einwohner zählende und sehr geschäftige Porto Ayora ausgiebig zu erkunden. Das war auch notwendig, um die benötigten Ersatzteile zu kaufen. Da waren natürlich zuerst eine Pumpe zu besorgen, mit der wir unseren verunreinigten Tank leeren konnten. Ausserdem brauchten wir eine neue Dieselpumpe. Mehrere gute Mechaniker fanden sich bei der Werkstätte «Gaillardo», die insgesamt einen sehr kompetenten Eindruck hinterliessen. Die Dieselpumpe war zwar das gleiche Fabrikat mit der gleichen Typennummer, sah aber ganz anders aus und kam ohne integrierten Filter aus. Die Pumpe zum Auspumpern würde er bis nächsten Tag besorgen und ein Arbeiter würde mir behilflich sein.

Das Charles Darwin Forschungszentrum
Wenn man nicht an einer organisierten Reise teilnimmt, wird man wohl zunächst das Charles Darwin Forschungszentrum besuchen, das am Ende der Hauptstrasse liegt, welche vom Hafen am Meer entlang führt. Das Zentrum arbeitet eng mit dem Nationalpark zusammen, für den wir einen Eintritt von 100 US-Dollars zu bezahlen hatten. Dazu waren dann noch die Ingala-Taxe und die Gebühr für die Einreise gekommen. Dass auch Paradiese heute ihren Marktpreis haben, das wissen wir Segler  leider nur zu gut. Immerhin, wenn es denn einer guten Sache dient, ist das nur halb so schlimm. Und im Darwin-Institut werden zumindest die Schildkrötenarten der verschiedenen Inseln aufgezüchtet, um ihren Bestand zu vergrössern.
Ob das allerdings auf der Insel Pinta auch gelingt ist äusserst fraglich. Denn der 90 Kilogramm schwere und 80jährige Lonesome George ist das letzte Exemplar seiner Unterart. Alle Paarungsversuche mit den genetisch nahe verwandten Schildkröten scheiterten bislang – noch immer hoffen die Forscher allerdings, dass es noch frei lebende Artverwandte von George gibt. Das östlich vom Hafen auf einem sanften Hügel über dem Meer liegende gut ausgebaute Zentrum beheimatet auch Leguane und Vögel und betreibt einen aktiven Umweltschutz und forscht in Zusammenarbeit mit vielen Wissenschaftern auf der ganzen Welt zu den verschiedenen Arten, dem Klimawandel, den eingeführten Arten und dem Einfluss des Menschen. Weitere Informationen dazu gibt es unter www.darwinfoundation.org.

Arbeit und Vergnügen
In den nächsten Wochen wechselten sich Arbeit und Vergnügen immer wieder ab. Klar war, dass wir die Galapagos nach drei Wochen verlassen mussten. Ebenso, dass wir alles Notwendige an Bord für die Überfahrt erledigen mussten. So kam der Tag, an dem ich zusammen mit dem Mechaniker Geoffrey unseren restlichen, verseuchten Diesel in mehrere Kanister pumpte. Dazu verwendeten wir nicht die geborgte Handpumpe, die nicht passte, sondern die neu gekaufte kleine Elektropumpe. Diese funktionierte tadellos, wenn sie auch mehrmals verstopfte. Dies wurde besser als wir einen kleinen Filter dazwischen installierten. Nach über zwei Stunden hatten wir den Tank endlich leer. Um nicht allen Diesel wegzuleeren, respektive entsorgen zu müssen, filtrierten wir den jeweils oberen Teil der Kanister und füllten ihn wieder in den Tank ein. Die Frage nach der Ursache der Verunreinigung – sie zeigte sich in erdähnlichen Klümpchen von wenigen Millimetern bis etwa drei Zentimetern –  wurde verschieden beantwortet. Es könne vom miesen Diesel des Herrn Chavez kommen, mutmassten einige. Ich bin der anderen Meinung, dass die Klümpchen von der Dieselalge stammen, die sich in warmen Klimata meist bildete. Ich wusste, dass es Jim während eines ganzen Jahres in den Kuna Yalas versäumt hatte, dem Diesel ein entsprechendes Additiv beizugeben, weil er dies für unnötig gehalten hatte. Nach dieser Drecksarbeit gönnten Geoffrey und ich uns einige wohlverdiente Biere in Ronnys Büro. Das ecuadorianische Pilsener in der mir besonders sympathischen 66cl Flasche schmeckte vorzüglich.
Am Abend lud ich Kapitänin und Mannschaft zum Essen ein.  Wir assen draussen auf einer abgesperrten Quartierstrasse, wohin verschiedene Grillbuden und Restaurants ihre Tische und Stühle gestellt hatten. Man konnte zwischen verschiedenen Fisch-, Hähnchen- oder Langustengerichten wählen, wir wählten letzteres, mmh!
Aus einem geplanten Ausflug zu den beiden nebeneinander liegenden Vulkanen Los Gemelos  und zu einer Finca, wo mehrere frei lebende Schildkröten und ein unterirdischer Lavatunnel zu besichtigen waren, wurde nichts. Wir hatten uns mit Fabian, einem Taxifahrer, auf einen Preis geeinigt und waren losgefahren. Allerdings begann es kurz nach Bellavista, ein kleines Dörfchen etwa zwei Kilometer hinter Porto Ayora, zu regnen. Je höher wir gegen die Berge fuhren, desto stärker regnete es. Bäche überströmten an einigen Orten die Strasse, was anfangs noch kein Problem war. Bei einem Sicherheitsposten der Polizei, der leicht in einer Senke lag, war dann aber Endstation, war das Gebiet doch etwa hüfthoch überschwemmt, was auch für unseren 4x4 Pickup zu viel war und wir umkehren mussten.

Isabela la bella
Verschiedentlich hatten wir uns in Reiseagenturen und  -büros erkundigt, welche Inseln man am besten besuchen sollte. Bald stellte sich heraus, dass die grösste Insel, Isabela, wohl das lohnenswerteste Ziel darstellte. Leider durften wir nicht mit der «Wonderland» dorthin segeln, denn dafür hätten wir für 500 $ eine entsprechende Bewilligung im Voraus in Quito erstehen müssen. Also mussten wir nun im Motorboot reisen, was zwar nur 25 $ teuer und nur Fünfviertel Stunden lang dauerte, aber eine äusserst unangenehme Fahrt war, denn das Motorboot schlug ständig hart in den Wellen auf, was sich direkt auf die Wirbelsäule übertrug. Geschäftstüchtig haben sie die Abfahrt auf 14 Uhr festgelegt, so dass man am Reisetag gerade noch Zeit hatte,  in Puerto Villamil ein Hotel zu suchen und dann in Ruhe die Exkursionen für den oder die nächsten Tage zu organisieren.
Da auf Isabela die Preise pro Bett fest gelegt sind, kommt es nicht drauf an, wie viel Personen in einem Zimmer übernachten. Also nahm ich natürlich gerne ein Zimmer für mich alleine. Zudem waren es mir die 10 $ wert, die ich in Manucos Hotel «The Dolphin House» für ein Zimmer mit Toilette und Dusche und feinem Meerblick mehr zu bezahlen hatte.
Zum Aperitif traf man sich in Isabela bei Claudia und Jeff, die bei der Casa Rosada eine Bar eingerichtet hatten; Claudia, eine gebürtige Argentinierin ist unglaublich kommunikativ und organisiert resolut alles, während Jeff mit seiner Gitarre für Unterhaltung sorgt. Beide waren vor langer Zeit nach Isabela gekommen, heute sorgen verschärfte Einreisebestimmungen dafür, dass der Siedlungsdruck nicht noch stärker zunimmt. Ich vermute allerdings, dass man als etwaiger Investor immer noch eine Bewilligung bekäme. Dass alle Tiere gleich, einige aber gleicher sind, wusste schon Orwell. Bei der Casa Rosada, welche aus dem hiesigen Lavagestein gebaut ist, leben sicher ein gutes Dutzend der schwarzen gekämmten Meerechsen und wärmen sich auf den noch warmen Steinen. Im Gegensatz zu gewissen Nachbarn scheinen die sich über Jeffs Gitarrenmusik, das Geplauder und Gelächter wenig aufzuregen. Einen Abend direkt am Strand neben einem Feuer mit guten Songs im Ohr und mit einem kühlen Bier in der Hand ausklingen zu lassen, besser geht’s wohl kaum.
Während sich Evi und Libby später ins Hotel verabschiedeten, besuchten Tib und ich noch die nebenan liegende Bar von Beto, der guten Sound aus den den letzten 50 Jahren der Rock-, Jazz- und Bluesgeschichte auflegte. Sogar Steely Dan legte er auf und spielte Deacon Blues für mich! Die gute Musik und Stimmung hatte natürlich zur Folge, dass ich viel zu lange hängen blieb und zu viel Bier trank, was ich am nächsten Tag auf äusserst unangenehme Art und Weise zu spüren bekam.

Sierra Negra und Los Tuneles
Bereits um acht musste ich nämlich bereit sein für die Vulkantour. Es sollte zum Sierra Negra gehen, einem der  aktivsten und grössten Vulkane der Gegend. Sein Krater misst über 7 x 9 km und zum letzten Mal war er erst im Oktober 2005 ausgebrochen. Zunächst ging es in einem alten klapprigen Bus bis auf eine Anhöhe, wo man entweder Pferde mieten oder wie wir zu Fuss weiter marschieren konnte. Nach einem rund zweistündigen Marsch gelangten wir zum Kraterrand, dem wir für eine gute Viertelstunde folgten. Anschliessend ging es über eine mondähnliche Kraterlandschaft zum Vulkan Chico, einem kleinen Seitenkrater, in dessen Umgebung aber immer noch Gase ausströmen und der Boden warm bis heiss ist. Apropos Wärme und Hitze: Praktisch die gesamte Wanderung waren wir ohne Schatten und es war entsprechend heiss. Mit einem halben Sonnenstich, einem fetten Kater und auf einem von Pferdehufen völlig durchlöcherten Weg waren die insgesamt rund sechs Stunden unterwegs ein bisschen zuviel des Guten, eine regelrechte Qual. Dass wir dann den Rückweg auch noch zu Fuss antreten mussten, weil der Bus stecken geblieben war, konnte mich allerdings nicht noch mehr erschüttern. Hinter mir waren auf der Rückwanderung nur Evi und der Touristenführer David geblieben. Es stellte sich heraus, dass David daran interessiert war, mit uns zu den Marquesas zu segeln. Mir lag daran, einen dritten Mann dabei zu haben, denn nur zu zweit würde es mit den Wachen ja doch etwas anstrengend werden.
Wesentlich besser ging es mir am nächsten Tag, als wir einen Ausflug zu den Tunnels unternahmen. So wird ein von Brücken und Tunnels durchzogenes  Lavasteingebiet  mehrere Meilen westlich von Puerto Villamil genannt, dem etwa von 1'500 bis 2'000 Seelen bewohnten Hauptort Isabelas. Die Ausflüge werden in kleinen offenen Motorbooten unternommen und schon während der Fahrt konnten wir bei einem Felsen sogar einen Orca, wie die Killerwale hier genannt werden, sichten. Die Motorbootfahrer sind beim Einfahren hinter das Riff gefordert, muss ihnen dies doch zwischen den Brechern gelingen, bevor sie ins weitgehend ruhige Wasser gelangen. Gesehen haben wir kleinere Riffhaie, Meeresschildkröten, Pelikane und Blaufusstölpel; geschwommen sind wir mit den niedlichen Galapagos-Pinguinen, den mit etwa 50 Zentimetern Grösse zweitkleinsten Pinguinen der Welt, den verschiedensten, bunten Fischen und manchmal auch mit den immer wieder schnell abtauchenden Schildkröten.
Ein besonderes Erlebnis hatte ich bei der nahe dem Hafen von Puerto Villamil gelegenen Concha. La Concha ist eine vor allem von Einheimischen benutzte Bucht vor einem durch die Mangroven gebauten Badesteg. Dort entdeckte ich eine der schwarzen Meerechsen und schwamm dann rund einen Meter hinter ihr her. Die Meerechsen benützen zum Schwimmen nur ihren Schwanz, die Füsse ohne Schwimmhäute dienen nur zur Fortbewegung an Land. Plötzlich versetzte eine grössere Welle die Echse auf meinen Kopf, was mich offenbar mehr beunruhigte als sie...

Die Mauer der Tränen
Am letzten Tag unternahmen wir zu viert einen Ausflug zu der Mauer der Tränen. Diese etwa 5 Meter breite und 500 Meter lange Mauer ist das Überbleibsel eines Versuches, die Gefangenen mit dem (sinnlosen) Bau einer Mauer aus rohen Lavasteinbrocken zu drangsalieren. Dies scheiterte 1945 aber am Protest der Gefangenen, nachdem im ganzen Prozess sehr viele der Sträflinge umgekommen waren, resp. erschossen worden waren. Das Gefangenenlager auf Isabela ist  dann im Jahre 1959 endgültig aufgehoben worden. Auf dem Rückweg sind Thibaut und ich voraus gegangen, die Damen folgten in gebührlichem Abstand... Sie haben dann die apfelähnlichen Früchte des giftigen Manzanilla-Baumes entdeckt und gegessen, aber erst nachher gefragt, ob man die essen könne – ich wusste, dass diese nicht bekömmlich sind, denn diesen Baum gibt es in Kolumbien auch. Seine Blätter sind gar so ätzend, dass man bei Regen nicht unter dem Baum stehen darf, weil die Haut sonst verätzt wird. Ja, die verbotenen Früchte reizen offenbar die Frauen auch nach der Vertreibung aus dem Paradies immer noch. Das mangelnde sprachliche Wissen hat hier zum Fehlverhalten beigetragen: Manzanilla ist nicht gleich Manzanita, was kleiner Apfel heisst. Natürlich litten dann wir Männer nachher unter dem Theater: Sie haben dann versucht sich zu erbrechen; ein Fremdenführer, den sie auf dem Rückweg trafen, führte sie zum Spital, wo sie Medikamente kriegten und dann ziemlich unpässlich waren. Am Tag darauf ging es ihnen schon wieder recht gut...
Thibaut kommentierte nur lakonisch: je crois que ce n’etait pas très intelligente...
Dem konnte ich nur zustimmen.

Abschied und zwei Ami zu Besuch
Am Karfreitag, 2. April brachten wir Libby und Tib zur Überfahrt nach Baltra, einer Nachbarinsel, wo sich der Flughafen von Santa Cruz befindet. Auf dem Weg dorthin besuchten wir noch kurz einen der beiden Los Gemelos-Vulkane. Auf der Rückfahrt stoppten wir dann noch bei besagter Finca, wo oft Dutzende frei lebender Schildkröten anzutreffen waren. Nicht zu dieser Jahreszeit, denn die grösste Anzahl weilte zum Eierlegen in einer (geheim gehaltenen) Lagune. Zurück geblieben waren nur einzelne Exemplare, die vermutlich für den Fall einer Katastrophe das Überleben der Gattung ermöglichen sollten. Auf derselben Finca befand sich ein mächtiger, mehrere hundert Meter langer Lavatunnel, den man ausser an einer Stelle aufrechten Ganges durchschreiten konnte.
Am gleichen Tag kamen Bob und Craig aus den USA an. Bob ist der Vater eines Mitautors von Evis Computerbuch. Dieses Buch ist offenbar die Linux und Unix-Bibel der USA, welche noch dieses Jahr in der vierten Auflage erscheinen sollte und deren über 1500 Seiten Evi auf der Reise unablässig korrigierte. Craig ist Bobs Freund, ein im Ausstieg begriffener Mormone und Vater von fünf Kindern. Er hatte es nicht sehr einfach, denn seit er von Zweifel geplagt wird, respektive die Machenschaften seiner Glaubensbrüder durchschaut hat, ist er ein Abtrünniger – auch in den Augen seiner Frau. Als alter Sektenhasser versuchte ich, ihn in seiner kritischen Haltung möglichst zu bekräftigen.
An Ostern besuchten wir die drei Schluchten von Las Grietas. Diese drei engen zwischen hohen Lavafelsen liegenden und mit Brackwasser gefüllten Lagunen kann man durchschwimmen. Zwischen drin muss man aber zweimal wieder kleine Klippen übersteigen, was nur etwas für sportliche Zeitgenossen ist. Bob mit seinem Übergewicht tat sich schon auf der Wanderung dorthin schwer und stürzte zweimal. Zurück in Puerto Ayora mussten wir ihn zuerst verarzten. Im Anschluss nahmen wir ein Taxi nach Bellavist, das Nachbardorf, wohin am Sonntag viele Einheimische fuhren, um dort Comida Criolla zu geniessen. Als Spezialitäten gab es verschiedene feine Suppen und Fleischgerichte (Huhn und Schwein) mit chocolo (Maiskolben) zu sehr anständigen Preisen. Da es uns auf Isabela so gut gefallen hatte, empfahlen wir den beiden Besuchern – auch sie beide hatten sich erst ans Schaukeln im Hafen gewöhnen müssen – auf Isabela zu fahren und begleiteten sie auch. Natürlich konnten sie nicht die Vulkantour machen, aber Los Tunneles schien uns möglich, was dann aber doch einige Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen mit sich brachte. Eindrücklich war schliesslich noch der Besuch der dem Hafen von Villamil vorgelagerten Insel Las Tintoreras, auch wenn leider die Hammerhai nicht an ihrem Ruheplatz anzutreffen waren.

Zweimal in den Mast rauf
Kaum zurück in Puerto Ayora hiess es dann wieder: an die Säcke! Unsere Zeit auf den Galapagos war in wenigen Tagen zu Ende. Noch mussten wir den Mastfuss abdichten, sollten die Navigationslichter, die seit einem Besuch eines Vogels im Masttop nicht mehr funktionierten, reparieren und dann musste wieder gebunkert werden. Diesmal für längere Zeit: Wir rechneten mit einer gesamten Segelzeit von etwa 25-30 Tagen für die über 3000 Seemeilen zu den Marquesas. Zunächst aber bauten wir die neue Dieselpumpe, die Bob aus den USA mitgebracht hatte ein. Sie funktionierte, lief aber ebenso heiss wie die kleine, welche wir bei «Gaillardo» gekauft hatten. Mit dem ebenfalls von Bob mitgebrachten «Rescue Tape» dichteten wir den Mastfuss ab.
Evi wollte zur Kontrolle des Riggs unbedingt den Mast inspizieren und gleichzeitig das Licht reparieren. Also kurbelte ich sie hinauf. Auch bei nur 60 kg eine schweisstreibende Angelegenheit. Oben war offenbar alles in Ordnung. Beim Licht hatte sie lediglich feststellen können, dass es nicht an der Birne lag. Kaum war sie unten, merkte sie, dass sie eine Kabelbindung-Sicherung vergessen hatte... also nochmals raufkurbeln und das Licht war immer noch nicht repariert....
Dass wir auch die Rettungsinsel in Panama nicht zur Revision gebracht hatten, beunruhigte mich nicht. Wie viele Yachten hatte man schon schwimmend gefunden, nicht aber die Leute und die Rettungsinsel. Auch wären die Chancen mitten auf dem Pazifik gefunden zu werden wohl minimal. Zudem waren die kurzen Wartungsintervalle (drei Jahre) nicht so eng zu sehen, ausser man verdiente sich damit eine goldene Nase.
In der Zwischenzeit war unser Führer David aus Isabela bei uns eingetroffen. Er wollte mitsegeln, vor allem um seine Englischkenntnisse zu verbessern. Allerdings verbrachte er dann die ersten Nächte, nachdem er nach kurzer Zeit dem Hafenschwell seinen Tribut geleistet hatte, bei seiner Familie in Puerto Ayora. Auch wir verbrachten eine Nacht dort, genossen wieder einmal eine anständige Dusche. Sein Vater, Antonio Constante, schenkte mir noch sein Buch, welches er über das Gefängnis auf Isabela geschrieben hatte. Er war dort angestellt gewesen, allerdings nach der Zeit als die Tränenmauer gebaut worden war. Gemeinsam kauften wir dann nochmals für mehrere hundert Dollar Lebensmittel ein, bunkerten sie und ich verfasste eine Liste, wo alles zu finden war. Eine solche Liste ist für eine längere Reise unabdingbar. Auch für Ersatzteile etc. wäre das empfehlenswert. Auf der «Wondy» mussten immer wieder Sachen gesucht werden, die dann neu gekauft wurden und dann: Oh Wunder!, einige Tage später gefunden wurden.
Damit ich auch täglich mindestens ein Bierchen trinken konnte, kaufte ich gegen 50 Fläschchen ein. Die mir besonders sympathischen 66 cl fassenden, waren mit Depot belegt und leider auch zum Aufbewahren wenig geeignet. Evi meinte allerdings von Beginn weg, wir hätten keinen Platz für Bier – ich kaufte welches und würde Platz schaffen! Zuletzt kauften wir noch wenig Fleisch – unser Kühlschrank hatte ein kleines Gefrierfach – und viel Gemüse und Früchte ein. Für Kopfschütteln sorgten meine rund 15 kg Tomaten, Bananen kauften wir zwei ganze Stauden, die wir zunächst ans Gestänge der Windfahne hängten. Evi schlug vor, die Bananenstauden im Salzwasser zu schwenken, damit keine – das muss jetzt gesagt werden: zusätzliche – Kakerlaken an Bord kämen. Die Kakerlaken hatte die «Wondy» seit Trinidad, wo sie an Land gestanden hatte. In der letzten Zeit hatte ich zwar nur noch selten eine kleine gesehen, aber sie waren offenbar immer noch mit an Bord, obwohl wir alles Mögliche versucht hatten. Die Idee, die Bananenstauden im Salzwasser zu schwenken, war keine gute Idee, denn erstens kamen keine Kakerlaken heraus und zweitens reifen in Salzwasser geschwenkte Bananen viel schneller. Das haben wir nach einigen Tagen erstaunt festgestellt und es wurde später von erfahrenen Weltenbummlern bestätigt.
Auch hier auf den Galapagos, muss ich sagen, hätte ich es durchaus noch längere Zeit ausgehalten. Puerto Ayora hatte einige nette Restaurants und Bars zu bieten, ich habe mehrere nette Mädels getroffen und einige sehr interessante Leute, wie den bekannten Silberschmied Fabian de los Santos, der mich noch in seine kleine Villa direkt neben dem Fischmarkt einlud. Er erzählte mir, wie er in den 60er Jahren auf die Galapagos gekommen sei, weil er einen drogenabhängigen Freund begleitet habe, der damals in der abgelegenen Inselwelt seine einzige Chance gesehen habe, von der Droge loszukommen und wie er dann sofort gewusst habe, dass er für immer hier bleiben wolle. Nachdem wir alle Papiere zum Auslaufen erledigt und Klarschiff gemacht hatten, hiess es am 16. April: Anker auf!

Der grosse Schlag
Das Abenteuer einer längeren Seereise hatte mich schon einmal begeistert, als ich vor sechs Jahren den Atlantik überquert hatte. Nur war dies jetzt eine ungleich grössere Herausforderung: eine Segelreise mehr als 3000 Seemeilen quer durch den Pazifik, fernab aller gängigen Schifffahrtsrouten, zudem in einem sogenannten Niño-Jahr. Zu einem vertieften Verständnis führt beispielsweise die Darstellung des Phänomens bei Wikipedia. Hier nur soviel: Der Humboldtstrom führt normalerweise kühles Wasser vor die Küste Südamerikas. Bei einem El Niño schwächt sich dieser Strom ab oder kommt zum Erliegen. Dies führt zu einem Absterben des Planktons, was den Zusammenbruch ganzer Nahrungsketten zur Folge hat. Normalerweise strömt warmes Oberflächenwasser aus dem Pazifik Richtung Westen, bei einem El Niño kehrt sich dieser Prozess um. Die Folgen sind verschieden: Heftige Regenfälle in den Galapagos, was wir ja erlebt hatten, und an der gesamten Westküste Amerikas. Regenwälder hingegen leiden unter Trockenheit, in Südostasien und Australien führt dies zu Buschbränden, vor Mexiko kommt es zu Wirbelstürmen und vor der Küste Perus sinkt der Fischbestand auf einen Zehntel. Für uns besonders bedrohend würde es, wenn der Südost-Passat zum Erliegen käme oder sich gar zu einem Westwind drehen würde und die Meeresströmung entsprechend gegen uns wäre. Als eher erreichbares Ziel konnten dann die Gambiers weiter südlich in Frage kommen.
Gemächlich segelten wir Richtung Insel la Tortuga, die vor Puerto Villamil auf Isabela liegt, und vor der ich zusammen mit einem Führer und einem Spanier zwei schöne Fische (er eine Dorade, ich einen Bonito) geangelt hatte. Leider schlief der Wind zusehends ein. Schliesslich mussten wir die Maschine zu Hilfe nehmen, was wir so früh auf unserem grossen Schlag überhaupt nicht vorgehabt hatten. Wir wussten nur zu gut, dass unser Sprit nicht einmal für einen Viertel der ganzen Distanz reichen würde. Im Verlauf der Nacht frischte der Wind glücklicherweise wieder auf und erreichte am dritten Tag eine schöne Stärke, so dass wir im Gross das dritte Reff einbinden mussten. Fortan lief es unheimlich gut: Dreimal erreichten wir ein Etmal (die mit einem Schiff in 24 Stunden zurückgelegte Strecke) von knapp 200 Meilen, das GPS zeigte oft Geschwindigkeiten über zehn, ja elf Knoten an. Klar, dass da der Strom mit mindestens zwei Knoten mitgeholfen hatte. Allerdings war der Wind doch zeitweise sehr stark, so dass Evi die Sturmfock setzen wollte, was meiner Meinung nach nicht nötig gewesen wäre. Das Etmal sank dann auch wieder unter 160 Meilen. Nachdem wir dann wieder mit der teilweise eingerollten Genua unterwegs waren schafften wir wieder Etmal um die 170 Meilen. Jedenfalls waren wir weit schneller vorwärts gekommen als wir gedacht hatten. Jeden Tag machte Evi einen kleinen Kontrollspaziergang und kontrollierte alles an Deck. Schon einmal hatte sie eine Schraube an der unteren Trommel der Rollanlage ersetzt. Diesmal fehlten allerdings zwei von drei Schrauben. Da ihre Schraube nicht gehalten hatte, bat sie mich, jetzt die beiden Schrauben zu ersetzen. Dies tat ich und versah sie zudem mit einem Fixiermittel, keine einfache Sache bei dem Wellengang. Prompt wurde ich dann auch kräftig geduscht. Der an sich schon nicht besonders hohe Bug der «Wondy» war durch mein Gewicht natürlich noch nach unten gedrückt worden, so dass der Bug unterschnitt und mich eine Welle voll erwischte. Nun gut, es war an diesem Tag nicht die einzige Dusche: Eine Welle hatte mich bei meiner Wache schon im Cockpit  kurz nach meiner Morgendusche erwischt (grrr!), später wurde ich nochmals vom Regen geduscht. Die Salzwasserdusche war leider zuviel für meine Swatch, welche nur waterresistant nicht aber waterproof war. Fortan orientierte ich mich nur noch nach dem Sonnenstand oder an den Sternen, was mir allerdings erst nach und nach gelang. Es ist schon verrückt, wie fixiert man auf die Uhr ist; gerade als Lehrer ist  man zu hundert Prozent ihrem Diktat unterworfen. Die Zeit ist aber auf einer wochenlangen  Reise sowieso eine relative Angelegenheit. Nach einer Woche merkt man die Zeitverschiebung, es wird abends immer später dunkel und am nächsten Morgen immer später wieder hell. Dann stellten wir die Uhr wieder zwei Stunden vor, damit sich die Wachen nicht zu stark in die Nacht oder den Tag hinein verschoben. An Bord hatten wir ein ziemliches Durcheinander: Der Bordchronometer zeigte immer noch Panama-Zeit an, unsere Bordzeit wurde je weiter wir gegen Westen kamen zurück gestellt und als offizielle Zeit galt UTC (Universal Time Coordinated).
Nach zehn Tagen Eiltempo liess der Wind plötzlich nach und wir dümpelten rund eineinhalb Stunden herum, keine angenehme Sache, denn der Schwell nahm nur langsam etwas ab. Klar, dass wir nun das Reff ausschüttelten und wieder unter Vollzeug unterwegs waren. Das ständige Anpassen der Segelgarderobe war nur eine von vielen Tätigkeiten an Bord.

Jeder ist ein Smutje
Evi hat eine klare Regel an Bord: Wer isst, der kocht auch. Eine gute Regel, wenn alle kochen können, aber nur dann! Während der Atlantiküberquerung hatten meine drei Bayern und der Schwabe gemeint, kochen würden sie schon, aber essen müsste ich es dann halt. Also habe ich die ganze Zeit gekocht. Den Tanz in der Kombüse kannte ich also schon: Wenn du bei 20-30 Knoten Wind mit drei Pfannen hantierst und dir dabei wie auf dem Hochseil vorkommst. Die Kombüse auf der «Wondy» war immerhin etwas seetauglicher, denn sie ist in einem offenen U angeordnet, d.h. man steht vor dem Herd und kann sich mit dem Hintern am Spülbecken abstützen.
Damit Evi nicht allzu oft kochen musste, machte sie immer so viel, dass es Resten gab, die sie dann kalt anbot oder aufkochte. Mir gefiel das nicht besonders, denn diese Resten lagen häufig bis sie fast oder ganz vergammelt waren in irgendeinem Tupperware-Behälter im Kühlschrank. Und kalte Resten mag ich eh nicht. So versuchte ich immer, meine Speisen so schmackhaft und in der Menge zuzubereiten, dass keine Resten übrig blieben, was auch meistens gelang.
Glück hatte ich, dass David ein recht begnadeter Koch war und einen Schuss Südamerika in unsere Mahlzeiten brachte. Zusammen mit seiner LAP Marcella hatte er übrigens in Villamil erst kürzlich das sehr gute Restaurant «Faro» eröffnet.
Jeder hatte verschiedene Gerichte auf Lager, hier einige meiner Gerichte: Tomatensalat mit Mozzarella, Griechischer Salat, Spaghetti Carbonara, Spaghetti Gorgonzola, Crevetten an Basmatireis, Züri-Geschnetzeltes aber ohne Rösti, sondern mit Bratkartoffeln – die Rösti hatte ich mir während der Atlantiküberquerung auf der «Daisy» noch angetan, aber man lernt ja dazu! Dann Peperoni und Zuchhetti mit Knoblauch im Öl angebraten  sowie Rinds-Entrecôtes oder Lammfiletstücke aus Neuseeland mit Beilagen als die seltenen Fleischgerichte. Die Fische, die wir fingen haben meist Evi oder David zubereitet. Meine Spaghetti waren besonders beliebt: Evi mochte jene mit Gorgonzola-Sauce am liebsten, David jene à la Carbonara.
Evis Spezialität waren sehr leckere Pouletschnitzeli an einer Parmesan Tapanade.
Getränke auf einer Überfahrt sind eine andere, eher leide Geschichte: Obwohl ich quasi um jedes Bier hatte kämpfen müssen, das ich an Bord gebracht hatte, tranken alle nachher mit Hochgenuss von meinem Bier. Das heisst, dass wir während der 19 Tage Überfahrt zu den Marquesas täglich zu dritt zwei Fläschchen Bier à 33 cl getrunken haben, jeweils als Sundowner. Ab und zu gab es zum Essen auch einen Schluck Rotwein, wir hatten allerdings lediglich 6 oder 7 Liter Wein dabei.
Wasser haben wir jedenfalls weit mehr getrunken, das war ja auch in grösserer Menge vorhanden. Ich verzichtete aber von Anfang an darauf, Wasser aus dem mit Chlor versetzten Tank zu trinken. Schliesslich hatten wir Wasser in guter Trinkqualität vom Wassermacher, ein Schweizer Produkt namens Katadyn, der uns in einer Stunde rund fünf Liter Süsswasser produzierte.

Leben und schlafen an Bord
Oft werde ich gefragt, wie ich es denn aushalte, tagelang auf See. Wasser und immer nur Wasser, glauben viele. Es ist eben mehr als nur Himmel und Wasser. Hat man sich mit den Wellen und der Schaukelei versöhnt, kann man es richtig geniessen. Neben den alltäglichen Verrichtungen, die zugegebenermassen schon etwas umständlicher als zu Hause sind, hat man oft Zeit, in aller Ruhe Bücher zu lesen. Evi hat während ihrer Wache von 12 bis 04 Uhr entweder ihr Manus korrigiert oder gelesen. Ab und zu habe ich auch gelesen, u.a. Rolf Holensteins Biographie von Ulrich Gantenbein, ein sehr gelungener Beitrag zur Schweizer Geschichte im 19. Jahrhundert und ein exemplarisches Beispiel für den Umgang mit Emporkömmlingen.
David hat häufig Englisch gebüffelt, vorab mit dem Wörterbuch. Allerdings hatte er nach kurzer Zeit von seiner 04 bis 09 Uhr Schicht die Nase voll. So übernahm ich diese Schicht. Dies hatte den Vorteil, dass wir oft noch mindestens einen Teil seiner Wache dabei waren und Segelwechsel oder –manöver ausführen konnten. David konnte überhaupt nicht segeln und hat sich auch nicht sonderlich dafür interessiert. Nach einer gewissen Zeit hat er auch die Wachen «südamerikanisch» erledigt, ich fand ihn mehr als einmal schlafend im Cockpit. Auch wenn ich kaum je auf meinen Wachen eingenickt bin, ist es natürlich verständlich, wenn man bedenkt, dass wir auf der gesamten Überfahrt zwei oder drei Fischerboote noch in der Nähe der Galapagos gesehen haben, nachher aber lediglich eine Begegnung mit der grossen Segelyacht «Beagle V» hatten, welche uns mit neun Knoten überholte.
Für mich hatte die Wache am frühen Morgen den Vorteil, dass ich immer die Sonnenaufgänge erlebte und am frühen Morgen Toilette inklusive Dusche allein in aller Ruhe erledigen konnte. Wir seien in Sachen Energie- und Wasserverbrauch die beste Crew, die sie je gehabt habe, hat Evi mehrmals betont. Wir begnügten uns mit einer Dusche aus einem Gartensprüher, bei dem man durch eine Handpumpe einen Druck aufbaute und dadurch pro  Dusche kaum mehr als einen Liter brauchte.
Auch wenn man wenig Wasser zur Verfügung hat, kann man seine Körperhygiene also durchaus so gestalten, dass Mitseglers Nasen nicht belastet werden. Manchmal habe ich dann allerdings einen Wink mit dem Zaunpfahl geben müssen, d.h. ich habe gesagt, ich hätte die Dusche gerade noch eingerichtet gelassen...
Besonders magische Momente im Tagesablauf  auf einer längeren Segelreise sind natürlich immer die Sonnenuntergänge. Den Variationen sind keine Grenzen gesetzt und immer wieder hofft man auf den grünen Blitz, der aber doch sehr selten ist. Den grünen Blitz, also ein kurzes, grün scheinendes Aufblitzen der Sonne im Moment ihres Verschwindens am Horizont, kann man nur sehen, wenn der Himmel absolut wolkenlos ist. Den Moment des letzten Tageslichts genossen wir immer auch,  weil wir uns dann als Sundowner zwei kleine Bierchen genehmigten.  Obwohl ich fürs Bier arg hatte kämpfen müssen, schwärmte selbst meine Skipperin nun davon, wie gut das kühl den Hals hinunter perlende Bier tue und verzichtete nicht darauf. Es war wirklich wie mein Vater zu sagen pflegte, als ob einem ein Engelein den Hals hinunter pinkle.
Wiederkehrend waren auch die Begegnungen mit Fischen. Wenngleich wir keine besonders erfolgreichen Fischer waren – mit unserer hohen Geschwindigkeit waren wir für mittelgrosse Fische wohl zu schnell und ein etwas grösserer hatte uns einmal den Köder geraubt – zogen wir drei oder vier Thunfische an Bord, jedes Mal war dies natürlich eine willkommene Ergänzung unseres Menüs. Die tägliche Begegnung mit Fischen hatten wir trotzdem, nämlich mit den fliegenden Fischen. Diese flohen fliegend häufig in grossen Schwärmen vor der «Wonderland» und die Überflieger bezahlten ihre Flüge mit dem Tod, wenn sie bei uns auf Deck landeten. Etwas mehr Glück hatten sie, wenn sie zu uns ins Cockpit flogen und wir sie dann retten konnten. Besonders nachts erschrickt man nicht schlecht, wenn einen ein fliegender Fisch am Oberkörper trifft. Von den fliegenden Fischen gibt es insgesamt 50 Arten, normalerweise werden sie etwa 30, die grösste Art allerdings bis 45 Zentimeter lang.
Das ruhige Dahingleiten wurde alle zwei bis drei Tage unterbrochen. Allerdings ist das ruhige Dahingleiten alles andere als ruhig, denn ruhig ist ein Segelboot in voller Fahrt nie; da knirscht, quietscht und knarrt es, Schoten schlagen und krachen, die Wanten ächzen. Trotz all dieser Geräusche empfindet man es als ruhig im Vergleich zur Fahrt unter Maschine. Aber diese musste gestartet werden, damit wir wieder Wasser machen konnten und die Batterien wieder aufgeladen wurden. Denn obwohl wir zwei Windgeneratoren und ein Solarpaneel besassen, konnten wir nicht genügend Energie produzieren. Die Energie reichte nicht, weil zum Kühlschrank die grösste Zeit der Autopilot als gefrässiger Verbraucher kam. Nur die beiden brauchten zusammen über 10 Ampèrestunden. Wenn wir jeweils bei beiden Batterien auf Minus 60 bis 70 Ampère angelangt waren, war es wieder Zeit die Maschine zu starten.
Gelegentlich wurde das Dahingleiten auch durch kleine Fronten unterbrochen. Dann nahm die Windgeschwindigkeit um zehn oder zwanzig Knoten zu, der Autopilot war häufig nicht mehr in der Lage den Kurs zuverlässig zu halten. Meist waren diese «squalls» allerdings nach zwei bis vier Stunden vorbei gezogen und der Passat wehte wieder in der angenehmen Stärke von 15 bis 20 Knoten.
Auf der technischen Seite wurden wir während dieser Überfahrt von grösserem Ungemach verschont, Motorausfälle blieben zum Glück aus. Einzig die Bilgenpumpe sorgte einmal für Aufregung: Da die eine Schlauchschelle durchgerostet war, war der Schlauch abgesprungen und die Bilgenpumpe lief die ganze Zeit ohne aber etwas rauszupumpen. Also mussten wir diesen Anschluss mit einer neuen Schelle wieder anschliessen. Keine einfache Angelegenheit, befindet sich die Pumpe doch am tiefsten Punkt der Bilge und war kaum zugänglich. Auch waren weder Wellenschlag noch Krängung besonders hilfreich. Nach zwei Stunden war die Reparatur aber beendet und wir besassen wieder eine funktionierende Bilgenpumpe, was ja doch beruhigend war. Weniger beruhigend fand ich, dass auch unser Ankerlicht nach etwa einer Woche ausfiel. Nachdem unser Dreifarben Positionslicht schon auf der Überfahrt von Panama ausgefallen war, waren wir künftig nachts quasi als Geisterschiff unterwegs. Evi allerdings schien dies wenig zu beunruhigen.

Land in Sicht
Nach gut zwei Wochen war klar, dass wir weit weniger Zeit brauchen würden als vorgesehen. Wir entschieden uns zunächst Fatu Hiva anzusteuern, obwohl man dort nicht einklarieren kann. Aber ins weiter nordwestlich gelegene Hiva Oa zu segeln und dann wieder zurück und womöglich gegenan  nach Fatu Hiva segeln, wollten wir vermeiden. Und solange wir die gelbe Quarantäne-Flagge gehisst hatten, konnten die Autoritäten ja eigentlich nichts dagegen einwenden. Je näher wir uns Fatu Hiva näherten, desto klarer wurde, dass wir wohl nachts ankommen würden. Aber die eine der vier eisernen Regeln besagt, dass man nie nachts an einen unbekannten Ort fahren soll. Also mussten wir unsere Geschwindigkeit so weit verlangsamen, dass wir bei Tageslicht die Südecke von Fatu Hiva rundeten. Es war dann während meiner Frühwache, als sich langsam die Umrisse Fatu Hivas abzeichneten. Man kann sich vorstellen, dass wir nach 19 Tagen dem Landfall entgegen fieberten! Auch eine riesige Befriedigung stellt sich jeweils vor einem Landfall nach Wochen zur See ein: Wir haben es geschafft ohne Probleme anzukommen. Eine ganz besondere Phase ist nun vorbei und eine zweite, ebenso besonders und unbekannt, stand uns bevor. Auch wenn die Menschenfresser der Marquesas wohl seit mehr als hundert Jahren in Pension waren: Wie waren die Menschen dort, wie führten sie ihr Leben, weitab jeglicher Zivilisation und welche Begegnungen würden sich ergeben?
Einzigartig war die Stimmung nach dem Runden der Südspitze, denn die im frühen Morgenlicht hinter Fatu Hiva aufgehende Sonne wurde von vielen Wolken immer wieder verdeckt und warf dazwischen ihre Lichtstrahlen ins Dunkle. Dann plötzlich eine Ansiedlung, erkennbar lediglich ein Gebäude, daneben etwas Gelbes. Durchs Fernglas wird bald ein Bagger erkennbar; die Ansiedlung war Omoa, der Hauptort, dessen Ankerplatz leider dem Schwell stark ausgesetzt ist und weshalb wir zur etwas nördlicheren baie des verges motorten. Die baie des verges, also die Bucht der Schwänze, wie es richtig übersetzt heisst, wird meist als Bucht der Jungfrauen bezeichnet (baie des vièrges), als ob diese von den Schwänzen etwas verständen! Vielleicht ist das aber auch nur ein schicklicher Orthographiefehler. Diese Bucht ist bekannt für ihre Schönheit, von vielen wird sie gar als die schönste der Marquesas gehalten.

Anker fällt neben Victoria – Aussenborder streikt
Auffallend sind die tatsächlich phallischen Felsformationen. Der wohl auffälligste Felsen gleicht allerdings eher einer Skulptur George Washingtons denn einem männlichen Glied. Es ist bereits gegen Mittag, als unser Anker in der recht gut besetzten Bucht schliesslich neben der Segelyacht «Victoria» fällt. Fortan mussten wir immer recht nahe am Ufer ankern, denn unsere alte Kette war ja nur 40 Meter lang und viele Ankerplätze waren tiefer als 12 Meter. Und das Verhältnis Ankerkette zu Wassertiefe sollte 3.5 zu 1 nicht unterschreiten. Ein ewiges Abwägen und Suchen einer etwas weniger tiefen Stelle waren die Folge. Ab und zu mussten wir die Ankerkette mit einem Tampen verlängern, was besonders langwierig und aufwändig war.
Unsere Nachbarn von «Victoria» besuchten uns und meinten wir hätten Glück gehabt, denn eben sei das Kontrollboot wieder ausgelaufen. Vor allem nach Alkohol und Waffen hätten sie Ausschau gehalten. Auf einem Katamaran hätten sie an den mit Bier und Wein vollen Backskisten sogar ein Siegel angebracht. Ob die Yachten schon einklariert hatten oder nicht, sei ihnen völlig egal gewesen. Wir hätten also überhaupt nichts zu befürchten gehabt, denn leider hatten wir keinen an Bord gehabt, der aus Wasser Wein oder Bier gemacht hatte und Waffen waren bei uns eh tabu.
Immer wieder wird die Frage, ob Waffen an Bord sinnvoll oder nötig seien unter Blauwasserseglern diskutiert. Einzelne – es sind nicht nur Amerikaner – sind nach wie vor der Ansicht, man müsse sich gegebenenfalls verteidigen können und führen Waffen meist im Verborgenen mit. Denn den ganzen Papierkram und die Umstände einer offenen Deklaration wollen sie dann doch nicht über sich ergehen lassen. Die Mehrheit ist aber doch der Meinung, dass es gefährlicher ist, wenn eine Waffe zur Hand ist. Beispiele, welche zeigen, wie unnütz oder gar gefährlich eine Waffe an Bord ist, gibt es genügend: Vermutlich lebte Sir Peter Blake noch, wenn er während des Überfalls auf sein Boot auf dem Unterlauf des Amazonas nicht mit einer Büchse an Deck erschienen wäre. Eindrücklich ist mir auch die Schilderung eines Seglers in Erinnerung geblieben, der sich am Horn von Afrika von Piraten verfolgt sah und es bereute, keine Waffe an Bord zu haben. Nachdem er von den vermeintlichen Piraten gestellt worden war und sich ergeben hatte, stellte sich heraus, dass es Leute der jemenitischen Küstenwache waren. Man stelle sich vor, er hätte eine Waffe an Bord gehabt.
Auf «Victoria» lebten Kim und Pierre mit ihren Zwillingen Patrick und Thomas. Für den grossen Schlag war Tom, ein Mechaniker, mitgekommen. Sie fragten uns, ob wir am Abend zu einem Essen mitkommen wollten, welches eine Familie für die Segler zu etwa zehn Dollar anbiete. Evi wollte an Bord bleiben, David und ich gingen gern mit.
Also mussten wir unser Dingi aufpumpen und zu Wasser lassen. Anschliessend musste der Aussenborder montiert werden. Ihn zu starten misslang uns aber, denn der Seilzuganlasser liess sich nicht betätigen, klemmte. Tom schaute ihn sich kurz an und meinte, wir sollten die Zündkerzen herausnehmen und einen kräftigen Schuss Rostlöser oder WD40 eingeben, das ganze bis am nächsten Tag ruhen lassen und es dann erneut versuchen. Heute Abend würden sie uns abholen. Am nächsten Tag liess sich der Motor zunächst wieder nicht starten. Tom meinte, wir sollten nun mit einem Schraubenschlüssel den Anlasser drehen. Als sich dieser nun soweit gelöst hatte, sprang der Motor problemlos an. Da wir den Motor auf Galapagos nie benutzt hatten und wir ihn in Panama nicht mit Süsswasser gespült hatten, sass er nach sechs Wochen einfach fest.
Am Abend wurden wir per Dingi abgeholt. Am Pier von Hanavave, wie der kleine Ort in der baie des verges mit etwa 400 Einwohnern hiess, versammelte sich ein rundes Dutzend Fahrtensegler, die sich alle auf ein marquesianisches Essen freuten. Das Essen wurde in einem Privathaus angeboten, wohin wir in einem 4x4 Pickup gebracht wurden. Die Speisen waren auf verschiedenen Platten und bestanden aus rohem Fisch an einer Kokossauce, gebratenem Fisch mit frittierten Stäbchen des Brotfruchtbaumes oder Reis sowie gebratenen Hähnchen. Auch wenn wir mit zwei Personen zu viel gekommen waren, war das Essen immer noch viel zu viel. Und dass wir nicht so viel assen, wie die meisten Marquesianer, das sah man auch ihren Figuren an. Wie viele der Leute wie stark übergewichtig sind, hat nicht nur mich überrascht und auch ein wenig schockiert, denn die Schönheiten der Südsee hatten wir uns anders vorgestellt.

Wasserfall und Wäsche-Reinfall
Segler leben oft im Einklang mit der Natur, gehen also mit den Hühnern zu Bett und stehen mit ihnen auf. So blieben wir auch an diesem Abend nicht viel länger als bis neun Uhr an Land und kehrten dann überfüllt mit Essen, Namen und Geschichten an Bord zurück. Nach 19 Tagen Isolation war das Essen mit zehn mir unbekannten Personen für mich eine soziale Überforderung.
Nachdem wir unseren Aussenborder wieder zum Laufen gekriegt hatten, wollten wir unseren Ausflug zum Wasserfall mit dem Wäschemachen verbinden. Als wir die Strasse durch Hanavave hoch spazierten, rief uns plötzlich ein Mädchen. Es meinte, ob ihre Mutter die Wäsche für uns machen solle. Bald erschien Mutter Angéle und anerbot sich unsere Wäsche für 1400 Polynesische Franken zu erledigen. Der Haken war, dass wir kein polynesisches Geld hatten und es in Hanavave keinen Geldwechsel gab. Immerhin wurde uns der offizielle Kurs klar; ein Euro entsprach 119 francs polynesiens. Also 1400 geteilt durch 119 ergab etwa 12 Euro, also etwa 17 Dollar. Also willigten wir ein und liessen die beiden Taschen bei Angèle und setzten erleichtert unseren Weg Richtung Wasserfall fort. Der Weg biege in einer Rechtskurve links ab und führe dann an einem Bauernhof mit kläffenden Hunden vorbei, Wenn man quasi ans Ende des Weges komme, führe ein Pfad zum Wasserfall, welcher mit Steinmandli markiert sei, hatten wir von anderen Seglern erfahren. Den Wasserfall fanden wir denn auch problemlos nach einem knapp zweistündigen Marsch am Schluss durch dichten Urwald.
Als wir am Abend die Wäsche holen wollten, kam die unerwartete Wende: 5600 FP wollte Angèle nun, denn sie habe vier Maschinen gebraucht und der Preis von 1400 FP verstehe sich pro Maschine. Davon war aber natürlich nie die Rede gewesen. Für den Preis hätten wir die Wäsche gern selbst gewaschen. Wir beratschlagten nun, was zu tun sei. Klar war, dass wir keinesfalls knapp 50 Euro für die wenig Wäsche bezahlen würden. Klar war auch, dass Angèle die Wäsche nur gegen Bezahlung aushändigen würde. Von mir waren lediglich einige Shirts dabei, die Bettwäsche war schon seit Senegal auf der «Wonderland» und teilweise kaputt, David hatte auch nichts wirklich Wichtiges dabei. Also beschlossen wir, den Rat des örtlichen Polizisten einzuholen. Als wir sein Haus gefunden hatten, schilderte ich das Problem. Er versprach, mit Angèle zu reden, wir sollten am nächsten Morgen wieder kommen.
Es kam dann nach längeren Verhandlungen zum Kompromiss: Wir bezahlten mit 25 Dollar den doppelten Preis der Offerte und kriegten unsere Wäsche zur Hälfte des verlangten Preises.
Dieser Deal kam übrigens an meinem 53. Geburtstag zustande, den wir am Abend mit einem Essen bei Desirée zusammen mit einem Ehepaar, welches zusammen mit ihren beiden (fast) erwachsenen Söhnen Owen und Elliot auf «Bristol Rose» von den USA in ihr Heimatland Australien zurück segelten. Gleichentags tauschte Evi einen überzähligen Fender gegen einen Schubkarren voll Grapefruits und weitere Früchte ein.
Nachdem wir an Bord zurückgekehrt waren, kamen wir plötzlich dem Bug der «Victoria» bedenklich nah. Pierre hatte ungleich mehr Kette gesteckt, er hatte eine dreimal längere Kette als wir. Wir unterhielten uns kurz und wollten die Boote noch etwas beobachten, als sie plötzlich gegeneinander stiessen. Wir konnten sie einigermassen abhalten, ich startete die Maschine und wollte mich wegbewegen. Dann plötzlich hiess es: Halt! Wir hatten am Dingi eingehängt und mussten dies zuerst lösen. Da kam schon eine richtige Hektik auf, denn natürlich pfiffen auch an diesem Ankerplatz immer wieder kräftige Böen in wechselnden Richtungen von den Bergen herunter. Schliesslich ankerten wir auf der linken Seite der Bucht, recht nahe an den Felsen. Nach einiger Zeit war klar, dass der Anker hielt und wir sanken erschöpft in die Kojen.

Omoa am 8. Mai
Am nächsten Tag wollten wir zum Hauptort der Insel fahren, unter anderem um Bier zu bunkern. Da die Strasse momentan betoniert wurde und also unpassierbar war, fuhren wir mit dem Dingi entlang der Küste hin. Die Fahrt konnten wir zunächst noch im Plane-Modus, also wenn das Schlauchboot sich bei hoher Geschwindigkeit gleichsam aus dem Wasser hebt, zügig in Angriff nehmen, mussten unsere Gleitfahrt allerdings der zunehmenden Wellen wegen abbrechen. Zum Glück führte uns unser Weg zuerst in den örtlichen Supermarkt. Am Eingang stand nämlich zu lesen, dass nur bis zehn Uhr Alkohol verkauft wurde. Der 8. Mai war der Tag des Friedensschlusses im 2. Weltkrieg, also ein offizieller französischer Feiertag und an Feiertagen war der Verkauf von Alkohol nur bis zehn Uhr morgens erlaubt. Dass der Kurs, den sie uns für die Dollars anboten miserabel war, versteht sich schon fast von selbst. Ihre Begründung war, sie müssten jemanden extra nach Hiva Oa schicken, um die Dollars wieder in FP zu wechseln und das koste auch 3000 FP.
Die anschliessende Wanderung führte uns durch ein Tal ausserhalb des Ortes zu einem kleinen Pool, der sich im Fluss unterhalb einer Strassenquerung gebildet hatte und in welchem wir ein erfrischendes Bad genossen. Auf dem Rückweg machten wir bei einem Schulhaus Halt und besuchten zwei Familien, welche kunsthandwerklich tätig waren und Tapas und Schnitzereien anboten. Tapas sind Stoffe aus Rindenfasern, welche mit einem Schlagstock aus Eichenholz weichgeklopft und zu einem filzartigen Stoff verarbeitet werden. Sie stammen entweder von Maulbeer-, Brot- oder Banianbäumen und werden mit Tuschzeichnungen verziert, deren typische Formen man auch in den Tätowierungen wieder findet. Die Tapa wurden früher als Bekleidung verwendet. Leider konnte ich eine wunderschöne Holzschatulle nicht kaufen, da die Verkäuferin partout keine Dollars wollte. Am anderen Ort erwarb ich ein Tapa.
Zurück im Supermarkt, wo wir unsere Einkäufe deponiert hatten, trafen wir Joseph, wohl der Grossvater der Besitzerfamilie. Er schnitzte unverkäufliche Holzschalen für seine Familie, wie er betonte. Sein Sohn produzierte Trommeln in verschiedenen Grössen, die in ganz Französisch Polynesien verkauft wurden. Die Grösste – zum Trommeln musste man sich auf ein Podest stellen – kostete 15'000 Euro. Joseph freundete sich sofort mit David an, den er aufgrund seiner Hautfarbe sogleich als «Verwandten» anerkannte. Es sei doch ein Witz, meinte er, dass es Leute gebe, welche behaupteten, sie stammten von den Asiaten ab. Diese Behauptung ist zwar mittlerweile gängige Lehrmeinung, entgegen Josephs Meinung und sehr zu seinem Leidwesen. Grosszügig lud er uns zu einem Bier ein, welches wir in seinem Hinterhof unter einem prächtigen Grapefruitbaum tranken. Auch von diesem Baum schenkte er uns eine grosse Anzahl riesiger, süsser Grapefruits; die Grapefruits der Marquesas sind die besten, welche ich je gegessen habe.

Tahuatu und Hiva Oa
David und ich waren auch noch zum Gipfelkreuz in Fatu Hiva hochgestiegen und hatten die herrliche Aussicht genossen. Die Zeit auf Fatu Hiva war allerdings abgelaufen, wir mussten weiter. So lichteten wir am 9. Mai unseren Anker und segelten nach Tahuata, wo wir im schönsten Abendlicht die Südspitze umrundeten, dann die Segel bargen, weil wenig Wind aber Fallböen zu erwarten waren. Dass wir richtig gehandelt hatten wurde schon bei der ersten Fallbö klar. Später erzählte uns Jack von «Anthem», dass eine Böe ihn genau an der Stelle flachgelegt hatte.
Erst im letzten Abendlicht warfen wir den Anker vor der Kirche in der Bucht von Vaitahu. Am nächsten Tag erkundeten wir den kleinen Ort, von dem eine Strasse zu einem wunderbaren Aussichtspunkt führte. Ein bisschen weiter folgten wir dem Weg noch, bis wir auch einen guten Ausblick auf Hiva Oa hatten.
Dies war ja unsere nächste Anlaufstelle, mussten wir doch einklarieren und Geld wechseln. Unterwegs allerdings legten wir noch einen Stopp ein in der wunderschönen Hanamoenoa Bucht ; eine unbesiedelte Bucht mit einem herrlichen Sandstrand vor dem etliche unserer Bekannten ankerten. David und ich schnochelten stundenlang der felsigen Küste entlang, am Abend kriegten wir von der sympathischen Crew einer Motoryacht – eine der ganz wenigen Motoryachten, die den grossen Schlag gewagt und wohl für ihren Diesel allein ein halbes Vermögen ausgegeben hatten – einen wunderschön filetierten Thunfisch geschenkt.
Am nächsten Tag wollten wir nach Atuona, dem Hauptort von Hiva Oa fahren. Es war klar, dass wir dies die meiste Zeit gegen Wind und Strom unter Maschine machen mussten. Da es lediglich etwa 25 Meilen waren, schafften wir dies, obwohl es wieder seine Zeit braucht, bis wir unterwegs waren. Es war tatsächlich mühsam, bis wir das südöstliche Kap von Hiva Oa umrundet hatten, denn der Strom von etwa 2 Knoten trieb uns stark ab. Die mystischen Momente im bereits langsam untergehenden Sonnenlicht hinter den Felswänden der im Lee liegenden Ostklippen entschädigten aber fürs harte gegenan Bolzen.
Einige Yachten ankerten bereits ausserhalb des Hafens, der eigentlich nur aus einem Liegefeld hinter einer schützenden Mauer bestand. Hinter der Mauer lagen die Boote dicht bei dicht und hatten alle ihren Heckanker gesetzt. Dies war auch für uns unumgänglich. Mir war schnell klar, wo noch eine Stelle frei war. Allerdings befahl mir Evi dann, weiter nach vorne zu fahren, worauf wir «Seamist», eine 56-Fuss Oyster, sehr nahe kamen. John war denn auch sichtlich nicht erfreut. Evi entschuldigte sich und sagte, es sei eben ihr erstes Manöver mit Heckanker. Ich schlug vor, den Heckanker etwas weiter nach rechts zu bringen und ihn auf der Back- anstelle der Steuerbordseite zu belegen. Als wir dies schliesslich getan hatten, war der Abstand korrekt.
Am nächsten Tag wanderten wir zum Zentrum, das eine gute halbe Stunde entfernt war. Obgleich man uns gesagt hatte, Autostopp sei kein Problem, versuchten wir es vergebens. Aber zu dritt ist das halt auch so eine Sache. Nach unserem Einklarieren bei der Gendarmerie Française, wo ich gleich noch Zeuge wurde, wie ein französischer Lehrer gegen einen gewalttätigen Schüler  Anzeige erstattete, konnte ich endlich meine vielen Dollars, welche ich in den Galapagos noch eingetauscht hatte, in polynesische Franken wechseln. Nach einer Woche quasi ohne Geld fühlte ich mich nun als kleiner Krösus. Allerdings war das ein wenig zu relativieren, war doch das Angebot in den wenigen Läden einigermassen beschränkt und sehr teuer. Das gute Pariserbrot war immer schon eine halbe Stunde nach der Auslieferung ausverkauft. Und wir alle wissen, dass Pariserbrot nur den ersten halben Tag lang wirklich gut ist... Aber wir genossen es: Ein Stück Paté, ein wenig Camembert für mich und Brie für die anderen zum Pariserbrot und ein kühles «Hinano» (das Bier aus Tahiti) und wir fühlten uns wie im siebten Himmel.
Die beiden berühmtesten Leute in Atuona liegen schon seit längerer Zeit ganz nahe beieinander und haben eine herrliche Aussicht auf die Bucht: Die Gräber von Jacques Brel und Paul Gauguin haben auf dem Hügel über der Ansiedlung eine besonders bevorzugte Lage. Bei unserem Rundgang im Friedhof ist mir aufgefallen, dass recht viele der in den letzten zehn Jahren Verstorbenen nicht sehr alt geworden sind. Am Stress kann dies kaum liegen, eher am Lebenswandel und der mangelnden medizinischen Versorgung.
Den beiden Berühmtheiten ist auch je ein Museum gewidmet, allerdings gibt es von Gauguin keine Originale zu sehen und ein Liedermacher-Museum: na ja. Das Objekt im Mittelpunkt ist denn auch die kleine Maschine, mit welcher er auch ab und zu Leute ins Spital geflogen hatte. Brel war übrigens nach einer Krebsoperation mit seiner Segelyacht nach Hiva Oa gekommen, wo er seine letzten drei Jahre bis zu seinem Tod 1978 verbrachte. 
Auf Hiva Oa wollten wir dann allerdings nicht zu lange bleiben, denn immer wieder stand in der einschlägigen Seglerliteratur, dass man die meiste Zeit für Nuku Hiva aufsparen sollte. So besuchten wir denn noch eine sich im Tal hinter dem Hafen befindende alte Kultstättte und die in der Nähe auf einem Felsen verewigten Petroglyphen. Das sind Steinritzungen aus prähistorischer Zeit über deren Entstehung und Deutung man wieder wie Erich von Däniken herrlich fabulieren könnte. Nur soviel; Wir haben sie gefunden, gesehen, fotografiert!

Ein deutscher Spion in Ua Pou oder Ua Pu
Ein Schlag über Nacht brachte uns gemächlich segelnd nach Ua Pou, wo wir zuerst im Hauptort im Hafen festmachen oder ankern wollten. Allerdings waren sie gerade mit Ausbaggern beschäftigt, so dass wir uns aus Lärmgründen und wegen der wohl eingeschränkten Wasserqualität für den Wassermacher gleich wieder verabschiedeten. Die Ankerbucht Hakahetau lag nur wenige Meilen weiter und es war noch nicht Mittag, als unser Anker neben zwei anderen Yachten fiel. Die Silhouette von Hakahetau in Ua Pou ist einmalig und mindestens so spektakulär wie jene von Fatu Hiva in Hanavave. Der Name bedeutet «Zwei Säulen» und in der Tat erinnern die Berge an Kirchtürme, Zuckerhüte oder Phalli. Bei der Errichtung der Erde – «Te Fenua Enata» also die «Erde der Männer»  ist der polynesische Name für die Marquesas:– sollen die Götter zuerst die Säulen des grossen irdischen Hauses erschaffen haben, eben die Berge von Ua Pou.
Ein kleiner betonierter Landungssteg für die Dingis war zwar vorhanden, allerdings gestaltete sich das Landen recht schwierig, denn der einlaufende Schwell erzeugte einen unangenehmen Unterzug. Zudem war der Pier ganz offenbar das Reich der Kinder, die hemmungslos mit allen vertäuten Booten spielten und diese auch mal tüchtig mit Wasser füllten.
Die obligate Wanderung zum Wasserfall war schattig und angenehm, das Bad im Pool herrlich. Dort trafen wir auf ein französisches Paar, welches mit ihrem etwa fünf Jahre alten Sohn in Tahiti lebte und sich eine Rückkehr nach Frankreich nicht mehr vorstellen konnte. Evi hatte von der Wanderung genug und kehrte zum Boot zurück, während David und ich noch zum Fuss der aufragenden Berge gehen wollten. Mir wurde allerdings bald klar, dass das noch zu weit war. Plötzlich stiessen wir auf ein Verbotsschild, wir würden uns auf privatem Grund bewegen. Langsam und laut rufend näherte ich mich einem Haus, wo alsbald Therese erschien und uns zu einem Kaffee einlud. Nein, das Schild sei nur da, damit sie mit den Fahrzeugen nicht auf ihr Gelände fahren würden, meinte sie. Bald kam ihr Mann Manfred dazu. Manfred hatte als Helikopterpilot die Stromleitungen auf Ua Pou installiert, Therese kennen gelernt und sich in diesem abgelegenen Stück Land eine Bleibe installiert. So leben die beiden nun als Selbstversorger weit ab der Zivilisation, bescheiden aber zufrieden; arbeiten in Haus und Hof, Manfred errichtete ein eigenes Kleinwasserkraftwerk, wozu er den Wasserdruck einer Leitung erhöhte und diese auf eine alte Wäschemaschinetrommel führte. Neu tüftelt er  an seinem Buggy herum, den er elektrifizieren will. Bei Kaffee und Kuchen erzählte er aus seiner Vergangenheit, als er für die DDR spioniert habe. Er lebte irgendwie immer noch in der Welt der Spione und Agenten und erwähnte auch den Fall des russischen Offiziers Stanislaw Petrow, welcher in letzter Minute den 3. Weltkrieg verhindert habe, als er im Kontrollzentrum die Meldung vom Start von fünf amerikanischen Atomraketen als Fehlalarm beurteilt und die Welt vor der atomaren Apokalypse bewahrt habe.
Zur Lage auf den Marquesas bemängelte er vor allem die Korruption, die allgegenwärtig sei. Therese meinte denn noch, Manfred sei im Dorf nicht besonders gern gesehen, weil er alles kritisiere, was nicht richtig laufe. Im Dorf unten meinte einer, den ich auf Manfred angesprochen habe, er wisse nicht, warum Manfred immer noch hier sei, wenn doch in Deutschland alles besser sei. Am Abend assen wir bei Etiennes Familie, welche in einem vom französischen Staat geschenkten Haus lebt. Etienne ist pensionierter Lehrer, spricht gut Englisch und bessert mit seinem Familienrestaurant für Fahrtensegler seine Rente auf.

Zwiespältiges Nuku Hiva
Am Sonntag, 16. Mai lichteten wir den Anker vor Ua Pou und segelten zur rund 20 Seemeilen entfernten und ziemlich genau nördlich gelegenen Hauptinsel Nuku Hiva, wo wir zuerst den Hauptort Taiohae besuchten. Der kurze Schlag bei angenehmem Passat verlief problemlos, den Ankerplatz in der grossen Bucht wählten wir in unmittelbarer Nähe zum Dingi-Anleger. Einerseits mussten wir so mit dem Dingi keine grössere Strecke zurücklegen, andererseits war dort die Wassertiefe unserer Kettenlänge angepasst. Der Nachteil war, dass alle anderen Ankerlieger – es waren wohl teilweise mehr als 50 Yachten in der weiten Bucht – mit ihren Dingis an der «Wonderland» vorbeibrausten und entsprechende Wellen produzierten. Am Montag meldeten wir uns bei der Gendarmerie an und, das konnte ich auf Französisch mit dem freundlichen Gendarmen aushandeln, auch gleich wieder ab. Dies würde es uns erlauben via die Contrôleur-, Anahoe- und Hakaui–Bucht zu segeln ohne nochmals nach Taiohae zurück zu segeln.
Auf allen Polizeistationen in ganz Französisch Polynesien ist uns aufgefallen, dass alle Gendarmen weisse Franzosen sind, keine Polynesier. Ob die wohl ständig in Übersee weilten oder nur für eine bestimmte Zeit dort stationiert waren? Ich vermute letzteres und die Gründe dafür liegen irgendwie auf der Hand.
Das von einem Ende der Bucht zum anderen reichende Taiohae  ist auch an den Hang hinauf gebaut. Die mehrheitlich einfachen und oft vorfabrizierten Häuser stehen an den Abhängen meist auf Betonpfeilern. Wichtiger als die Häuser und deren Zustand scheinen die Fahrzeuge zu sein, welche davor stehen. Je grösser und bulliger der 4x4 Pickup ist, desto höher offenbar das Sozialprestige, scheint auch hier zu gelten. Und zu Fuss gehen scheinbar nur Segler und einige wenige verirrte Rucksacktouristen. In Taiohae selber wohnen etwas mehr als 1'500 Einwohner, auf der ganzen Insel keine 3'000, und trotzdem kommt es abends zwischen 17 und 18 Uhr zu einem richtigen Verkehrsstau vor den drei Einkaufsläden. Immerhin, so denken wir, gibt es hier wieder einmal Internet. Also kauften wir entsprechende Karten, was sich aber als kompletter Reinfall erwies: Evi konnte überhaupt nicht einloggen; ich loggte zwar auf Gmail ein und sah, dass ich einige Mails bekommen hatte, aber bevor ich diese ansehen konnte, brach das Netz schon wieder zusammen. Die moderne Kommunikation war definitiv noch nicht auf den Marquesas angekommen, was mich überhaupt nicht beunruhigt, im Gegenteil. Ist es nicht herrlich, wenn man sich all dem entziehen kann ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Wenn man sich nicht meldete, dann nur deshalb, weil es nicht möglich war! Alle Fahrtensegler brauchen einen beträchtlichen Anteil ihres (Zeit-)Budgets für die Kommunikation mit Zuhause.
Taiohae als Zentrum besitzt neben der Verwaltung ein College und ein Spital. Und eine Pizzeria, wo allerdings ein «Hinano» acht Dollar kostet. Serviert von einem aufgedonnerten Transvestiten. Dazu muss man wissen, dass in Polynesien die Transvestiten oder «Mahus», wie sie hier genannt werden Teil der Kultur sind. Sie werden nicht diskriminiert, bewegen sich hemmungslos in der Öffentlichkeit und sind oft in typischen Frauenberufen tätig, wie eben zum Beispiel im Service oder Tourismusbereich. Früher ist es offenbar so gewesen, dass Knaben die Rolle von Mädchen übernahmen, wenn eine Familie überwiegend Söhne hatte. In der Pubertät kehrten dann allerdings längst nicht alle in ihre angeborene Rolle zurück. Ein Franzose aus Nizza, den wir in Nuku Hiva trafen, meinte, wenn wir dann erst in Tahiti seien, müssten wir aufpassen, denn viele der schönsten Mädchen seien Transvestiten. Musste ich nicht, denn in Tahiti war ich ja wieder in der Obhut meiner Doris. Evi hatte mehrmals gemeint, ich solle doch Doris überreden, nach Tahiti zu fliegen. Nach einigen Überzeugungstelefonaten ist mir dies denn auch gelungen.
Kaum hatten wir den Ort einigermassen gesehen und unsere Vorräte wieder ergänzt fuhren wir der Südküste entlang gegen Osten bis zur wenige Meilen entfernten Baie du Contrôleur. Diese Bucht und das dortige Tal sind bekannt geworden, weil Herman Melville dort nach seiner Desertion in Taiohae von einem Walfänger bei den Taipi lebte, einem menschenfressenden Stamm der «Wilden». Die grosse Ankerbucht war lediglich von zwei weiteren Segelbooten besetzt. Das Anlanden mit dem Dingi war nicht ganz einfach, mussten doch die teilweise brechenden Wellen umfahren und gleichzeitig die seichte Flussmündung mit angehobenem Aussenborder treffen, was nur bei Flut möglich war. Einmal im Fluss drin, konnte man noch ein Stück aufwärts fahren, dann allerdings mussten wir das Dingi an eine Kokospalme binden und zu Fuss weiter gehen. Auch in diesem kleinen Ort gab es eine Kirche, zwei Läden mit kleiner Auswahl und ein Postbüro.
Am nächsten Tag wollten wir zur Abwechslung zu einem Wasserfall marschieren und unterwegs noch einen antiken Kultplatz besuchen, ein «Marae», an dem auch mehrer Tikis, die typischen Steinfiguren der Polynesier zu sehen waren.
War schon das Finden des Einstiegs zum Aufstieg zum Marea keine leichte Sache. Es hiess: «Près de la maison blanche à droite», nur welches Haus gemeint war, war nicht ganz evident. Schliesslich führte uns dann aber ein gut ausgebauter Fusspfad hin. Der Platz befand sich eine halbe Stunde oberhalb der Strasse mitten im Wald; manchmal ist es klar ersichtlich, weshalb eine Kultstätte an ihrem Ort steht, häufig aber fragt man sich, weshalb eine Kultstätte gerade an diesem weder besonders schön gelegenen noch zugänglichen Ort errichtet worden war. Esoterisch begabtere Personen würden mir wohl weitschweifig von Kraftorten erzählen, an denen Schwingungen ausströmen, welche in allen Wesen der Natur eine Reaktion auslösen. Allen Wesen ausser mir? Für mich hat jeder Ort in der Natur draussen eine besondere Schwingung oder Kraft; immerhin soviel, dass ich es geniessen kann, als Privilegierter dort zu sein.
Weniger erfolgreich waren David und ich im Anschluss, denn wir wollten auch hier noch ein Bad bei einem Wasserfall nehmen. Den Abzweiger von der Strasse fanden wir nach mehr als einer Stunde Marsch, die Strasse zum Wasserfall hatte dann aber einen Abzweiger. Den richtigen und auch von uns zuerst gewählten Weg verpassten wir letztlich nur, weil die Strasse plötzlich mit einem Stacheldraht gesperrt war; da wir nicht allenfalls noch verborgenen Menschenfressern ins Messer laufen wollten, wählten wir den anderen Weg, welcher zum Fluss ins Tal hinunter führte. Dort fanden wir den Wasserfall allerdings nicht, doch immerhin einen kleinen Pool im Fluss, wo wir im klaren Wasser sogar ein wenig schwimmen konnten. Unterwegs kreuzten mehrmals Wildschweine unseren Weg. Interessant, was Melville 1846 dazu schrieb: «Schweinefleisch gehört bei den Marquesanern nicht zu den Hauptnahrungsmitteln, und daher beschäftigen sie sich auch wenig mit der Schweinezucht. Man lässt die Schweine frei in den Hainen herumlaufen, wo sie sich besonders von den Kokosnüssen nähren, die ständig von den Bäumen fallen.» Viel scheint sich da nicht verändert zu haben.

Traumbucht Anahoe und Taiohae II
Nachdem wir Evi bei einem der beiden Läden wieder getroffen hatten, kehrten wir beschenkt mit vielen Grapefruits aufs Boot zurück. Um den langen Umweg über die andere Talseite zu vermeiden, überquerten wir den Fluss zu Fuss, was uns aber vor einige Schwierigkeiten stellte. Hatten wir mit dem Dingi kaum genügend Wasser gehabt, so fanden wir jetzt erst nach längerem Suchen eine Stelle, wo wir den Fluss problemlos passieren konnten.
Der in der Nähe des Ankerplatzes gelegene kleine Sandstrand wollte natürlich auch erkundet werden. Beim Wiedereinstieg ins Wasser von einem Felsen aus trat ich, zum Glück nur leicht, auf einen Seeigel: trotzdem eine sehr schmerzhafte Angelegenheit. Die Stacheln versuchten Evi und ich dann zu entfernen, was nur teilweise gelang. Immerhin desinfizierten wir die Stellen und ich konnte nachher weitgehend beschwerdefrei gehen. In Zukunft zog ich dann wieder meine Schwimmschuhe an...
Aus der Bucht heraus mussten wir nur noch das nordöstliche Kap runden. Dies war ohne Schwierigkeiten, wenn man davon absah, dass wir einem kleinen Felsen aus dem Weg bleiben mussten und nicht auf Legerwall kommen durften. Die Segel konnten wir erst später setzen. Das Kap und die anschliessende Nordküste sind bekannt für viele Delfine und kleine Wale (kleine Orcas oder Schwertwale), die uns denn auch in grosser Zahl begleiteten.
Rund ein Dutzend Yachten ankerten bereits in der perfekt geschützten Anahoe-Bucht, wo wir wieder recht nahe am Riff unseren Anker warfen. Dieses Riff ist das einzige, das wir in den Marquesas vorfanden und erkundeten und wo ich unter anderem auch mit drei Adlerrochen schwamm. David verpasste dies, weil er noch am Strand geblieben war. Er hatte Flora entdeckt, die von einem Dingi dort abgesetzt worden war. Evi und ich fragten uns, wann er wohl an Bord zurückkehre. Plötzlich wurden wir über Funk angesprochen und gefragt, ob wir nicht die seit heute am anderen Ende der Bucht ankernde Segelyacht «Tamalua» kontaktieren könnten, denn Flora sollte eigentlich wieder abgeholt werden. Nachdem wir dies erfolglos versucht hatten, kam dann später das Dingi doch zurück und fuhr unbegreiflich für uns schon wieder übers Riff! Denn nur an einer Stelle konnte man durch einen Kanal im Riff problemlos an Land gelangen. Wenig später war dann David zurück an Bord. Er hatte mit Flora, eine Engländerin und Köchin an Bord der wohl gegen zwanzig Meter langen Swan, am Strand geplaudert.
Am nächsten Tag wanderten wir zusammen mit Marianne und David von einer Amel und John von «Sea Mist» zur auf der anderen Seite gelegenen Bucht mit dem Örtchen Hatiheu, hinter dem ein 300 Meter hoher, steiler Basaltkegel aufragt auf dem eine Statue der Jungfrau Maria steht. Wir besuchten dort  die wirklich erstaunliche, weil riesige Kultstätte mit vielen auch sehr speziellen «Tikis». Das eine zeigte eine Steinfigur mit zwei anderen in ihren Armen. Unterhalb des Hintern einer im Arm gehaltenen Figur– ich nehme an sie stellen Frauen dar –  ist der Kopf einer weiteren Figur zu sehen mit deutlich abwärts zeigenden Mundwinkeln. Für mich sonnenklar: Der eine hält zwei Frauen in den Armen, der andere hat das Nachsehen und zieht deshalb eine Schnute!
Wieder zurück in Hatiheu trafen wir einige junge Einheimische, welche gerade einen Kasten Bier vernichteten, den sie auf ihrem Pickup deponiert hatten. Wir plaudertenn eine Zeitlang mit ihnen, sie boten uns Bier an und zeigten ein kunstvoll aus einem Strandkrebs verfertigtes Gilom. Ich verweilte dann noch länger bei ihnen, bevor auch ich mich im letzten Tageslicht wieder über den Hügel zu unserer Bucht begab.
Dort aber sah ich am Strand eine grosse Menge Leute, alles Segler, die von der grossen Swan zu einer Strandparty eingeladen worden waren. Das war für mich natürlich ideal und ich konnte schliesslich per Dingi-Stopp trockenen Fusses an Bord der «Wondy» und in meine Koje gelangen.
Am nächsten Tag kriegten wir Besuch von der Segelyacht «Tin Tin», eine spanische Yacht mit Isabel und Guillermo, die seit vier Jahren unterwegs sind.  Sie haben sich schnell mit uns angefreundet, da sie sich mit uns auf Spanisch verständigen konnten. Guillermo erklärte David dann, wie wir erfolgreicher fischen konnten. Tatsächlich klappte dies dann bereits am ersten Tag der Überfahrt nach den Tuamotus.
Eigentlich wollten wir am Pfingstdienstag unsere Reise nach Daniel’s Bay fortsetzen; die Bucht vor dem Hakaui-Tal, in welchem sich der mit 350 Metern Höhe dritthöchste Wasserfall der Erde befand. Doch Evi musste noch dringend ihren Verleger kontaktieren und bereits war auch ein Aufstocken unserer Vorräte wieder angezeigt, zumal nachher eine viertägige Fahrt zu den Tuamotus bevorstand. Also fuhren wir den gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren. Allerdings mussten wir über einen weiten Teil der Strecke den Motor zu Hilfe nehmen, um in genügend Abstand ums Ostkap zu kommen.
Wieder in Taiohae besuchten wir noch das kleine, interessante Privatmuseum von Rose Corser, einer ansässigen Kalifornierin, die Französisch mit herrlichstem amerikanischem Akzent sprach. Das eindrücklichste war aber der Schwell, der plötzlich während mehrerer Stunden in die Bucht lief und die Boote arg durchschüttelte. Am meisten Sorgen bereitete uns unser Dingi, das Gefahr lief, auf die Mole geschleudert zu werden, jedoch unversehrt blieb.
Zum dritthöchsten Wasserfall
Als alles erledigt war, fuhren wir zur etwas weiter westlich gelegenen Bucht von Daniel, die eigentlich Hakatea-Bucht heisst. Daniel, so hatte uns Corser erzählt, sei letztes Jahr gestorben, das Land gehöre nun wieder der Familie seiner Frau, sei aber verlassen.
Nicht ganz verlassen war die Bucht, ankerte doch ein gutes halbes Dutzend Yachten dort. Einige waren wohl am gleichen Tag des ungeheuren Schwells wegen von Taiohae herüber gekommen. Nach dem ersten Ankermanöver lagen wir etwas gar dicht bei einem deutschen Katamaran, weshalb wir den Anker neu setzten. Dies war umso wichtiger, als in der Bucht die Windrichtungen ständig wechselten und die Boote oft in alle Richtungen wiesen.
Zusammen mit Jackie und Gary von «Inspiration Lady» und Marianne und David von «Kilkey» besuchten wir anderntags den weltweit dritthöchsten Wasserfall. Leider war unser Wandertag seit langem der erste, an welchem es regnete. Das war aber nicht so schlimm, denn erstens war die Temperatur nur angenehm heiss und zweitens mussten wir bald auch einen knietiefen Bach durchqueren. Nachdem wir das flache und bebaute Land am Flussunterlauf hinter uns gelassen hatten, kamen wir durch einen richtigen Zauberwald, der von bemoosten Bäumen schummrig gehalten wurde und uns geheimnisvoll umgab. Dazwischen immer wieder Überreste von Steinplattformen; ob Fundamente ehemaliger Häuser oder Kultstätten, blieb unklar.
Die zweite Bachüberquerung war schon abenteuerlich, man musste sich an einem quer über den Bach liegenden Baumstamm festhalten, um nicht den Halt zu verlieren. Immer höher ging es und immer enger und dunkler wurde das Tal. Plötzlich das Warnschild, das vor Steinschlag warnte, vor allem bei Regen! So kurz vor dem Ziel wollte aber trotz des Regens natürlich niemand kehrt machen. Kurz vor dem Wasserfall weitete sich das Tal wieder und man kam zu einem kleinen See. Der Wasserfall war aber hinter einem vorgelagerten Felsen verborgen. Wie kam man nun zum eigentlichen Wasserfall? Entweder indem man durch den kleinen See schwamm und dann dem Wasser folgte oder aber durch eine Höhle im Fels auf der linken Seite. Nachdem ich den Durchgang unter dem Fels auf der linken Seite gefunden hatte, erschien auch David, welcher vom Tümpel her den Zugang gefunden hatte. Vor unserem Blick öffnete sich ein schöner Pool, umfasst von weit über hundert Meter hohen teils überhängenden Felswänden.
Der fast abgeschlossene Raum faszinierte und erinnerte einen an eine Kathedrale.  Also nichts wie hinein schwimmen, auf der rechten Seite ging es noch ein Stück unter den Fels, gleichsam in eine Grotte. Nachdem ich den Leuten den Zugang gezeigt hatte, folgten zuerst Evi, dann einige weitere Segler. Allzu lange blieben wir aber alle nicht dort, denn es schlugen tatsächlich ab und zu Steine auf; zwar unsichtbar, dafür aber lange nachhallend.

Vier Tage bis zu den Tuamotus, den «Gefährlichen»
Die meisten Segler in Daniels Bucht wollten von da aus die Überfahrt zu den Tuamotus starten, entweder direkt oder mit einem Zwischenhalt in Ua Pou. Wir lichteten den Anker nach «Seamist», «Kilkey» und «Anthem» doch vor «Inspiration Lady». Nach einigen Stunden überholte uns die über 15 Meter lange «Inspiration Lady» langsam, was wir beide zu einem gegenseitigen Fotoshooting benutzten.
Am zweiten Tag hörten wir über Funk, dass die einen Tag vor uns gestarteten Yachten «Jackster» und «Bristol Rose» in Winde von über 40 Knoten gekommen waren. «Jackster» habe es flach aufs Wasser gedrückt. Wir waren also gewarnt.
Und in der Tat verdüsterte sich am dritten Tag schon am späten Morgen der Himmel, der Wind nahm zu. Da der Autopilot zusehends schlechter den Kurs hielt, übernahm, ich für einige Stunden das Steuer. Als sich der Wind etwas legte, legte auch ich mich hin, um mich etwas zu erholen. Trotz einiger Bewegung im Schiff schlummerte ich sanft dahin, bis mich David weckte und meinte ich würde gebraucht. Was war geschehen? Als ich an Bord kam, bewegte sich die «Wonderland» kaum noch, die Genua war ganz eingerollt, die Schoten vertörnt und Evi war des Steuerns überdrüssig. Zuerst musste nun die Genua mindestens teilweise wieder ausgerollt werden. Schon waren wir wieder mit 4 Knoten unterwegs und das Schiff stabiler. War es bis jetzt schon recht windig, kamen erst jetzt die richtigen Böen und ab und zu füllten Brecher das Cockpit. An Davids Gesichtsausdruck konnte ich sehen, dass er es nicht toll fand. Das wäre vermutlich auch an beinahe allen anderen Orten der Welt sehr ungemütlich gewesen, hier aber bei Wassertemperaturen um 29 Grad, war das ein Klacks. Obwohl auch ich hoffte, dass sich der Wind nicht noch verdoppeln würde. Immerhin lief ich noch unseren Kurs und musste nicht Ablaufen. Bevor es dunkel wurde, sah ich – als sich die Sicht eben wieder etwas besserte – dass wohl «Inspiration Lady» nur wenige hundert Meter backbords von uns entfernt war. Nach einem Funkkontakt sahen auch sie uns. Ihr Toplicht sah ich dann bis zum Tagesanbruch. Als wir gegen zehn in die Nähe von Kauehi kamen, das Atoll das wir als erstes ansteuerten, weil dort der Riffzugang problemlos war, war auch Jacks «Anthem» beinahe auf gleicher Höhe. Nach allen Berechnungen der Zeiten waren wir also praktisch beim Kentern des Stromes bei der Einfahrt, sollten also ideale Bedingungen vorfinden. Einmal mehr versuchten wir zu fischen, die vielen Vögel waren das sichere Zeichen für ein fischreiches Gewässer. Leider war ein Tölpel, der sich auf unseren Köder stürzte, das einzige, was wir diesen Morgen fingen. Zum Glück konnte ihn David mit Handschuhen ausgerüstet aus seiner misslichen Lage wieder befreien.

Kauehi – ein friedliches Atoll
Die Einfahrt war keine Sache, lediglich auf einer Länge von etwa 30 bis 50 Meter war das Wasser etwas verwirbelt und versuchte Einfluss aufs Ruder zu nehmen. Man kann sich aber schon vorstellen, wie das bei vollem Strom und gar noch entgegenlaufendem Wind hier aussieht. Bis zum Ankerplatz vor dem Dorf waren es nochmals acht Meilen, die wir unter Maschine liefen, da unseren Batterien  der Ladestrom gut tat. Jack und Garry lieferten sich eine Regatta, die Jack eindeutig gewann. Von den auslaufenden Yachten hatten wir vernommen, dass es aufgrund der Gezeiten am nächsten Tag als letztem Tag der Woche möglich sei, Kauehi zu verlassen und im Nachbaratoll Fakarava im Süden zur richtigen Zeit einzulaufen. Um sicher zu gehen, haben dann die beiden Yachten schon am nächsten Morgen früh Kauehi wieder verlassen, ohne etwas gesehen zu haben. Falls es nicht reichte, um durch die Südpassage zu fahren, konnten wir immer noch durch die breitere Nordpassage fahren. Dies hatte auch den Vorteil, dass man dort wieder einkaufen konnte. Dies war umso wichtiger, als Kauehi verlassen war: Der Bürgermeister war zu einer Beerdigung nach Papeete geflogen; zusammen mit seiner Frau, welche das einzige Geschäft auf der Insel führt.
Als wir am Nachmittag durch den kleinen Ort spazierten, schien der tatsächlich fast ausgestorben. Einige der 550 Bewohner waren wohl auf ihren Perlfarmen beschäftigt, welche im seichten Bereich des Atolls auf Stelzen standen, andere am Fischen, Copra-Trocknen oder Schlafen. Jedenfalls begegneten wir nur einigen Kindern und einem pensionierten Angestellten der Post.
Das tolle ist, dass man eigentlich alles recht schnell gesehen hat. Die Landfläche beträgt lediglich 15 km2, die Lagune misst immerhin 320 km2. Das lässt einem dann viel Zeit, um am Strand zu schlendern. Und wo immer man auf eine Menschenseele trifft, ergibt sich ein Gespräch. Und plötzlich entdeckt man die eigenartigsten Dinge: So etwa befremdet einen zunächst ein rauchender Wellblechverschlag. Dann erfährt man, dass dies eine Seegurken-Räucherei ist. Die Seegurken sind eine Spezialität für Japaner und bringen geräuchert 20 oder 25 Doller pro Kilo ein.
Man könne auch Perlen kaufen, am Ende der Strasse müsse man links abbiegen und komme dann zu einem weissen Haus. Dort ist aber momentan niemand zu Hause, wir werden also später nochmals vorbeischauen. Die ersten Perlen kaufte ich dann bei Daniel, einem Pensionierten, der mit seiner Frau und einem behinderten Sohn an der Hauptstrasse lebt und aus Perlmutt kunsthandwerkliche Gegenstände, wie Broschen, Amulette und Halsketten, herstellt. Von ihm kaufte ich die ersten unperfekten Perlen, 17 für 5000 polynesische Franken.
Gegen Ende des Dorfrundganges wurde ich auf ein traditionell gebautes Haus aufmerksam. Dort begegneten wir Andri, die dort mit Sohn und Schwiegertochter lebte und Halsketten aus den verschiedensten Meerestierschalen und Hüte aus Palmblättern fertigte. Wenn wir wollten, könnten wir Morgen zu einem Krabbenessen kommen, wir müssten es ihr nur sagen, bevor sie zur Kirche gehe. Wir waren dann etwas unentschlossen, denn einerseits reizten uns die Krabben, andererseits wäre noch ein Ankerplatz in der Nähe der Atolldurchfahrt zu erkunden.
Am Abend handelten wir dann mit Reva noch die Perlen aus: Einerseits kaufte ich einige Perlen à 2000 FP, andrerseits tauschten wir eine Fischerrute, ein Sackmesser, eine Trafo-Taschenlampe und eine Flasche Rum gegen Perlen ein.
Als weiterer Anlass war zu Evis und Kays Geburtstag eine gemeinsame Party geplant, aber Kamaya war bereits in Fakarava. Als wir uns entschieden, doch das Krabbenessen zu geniessen und die Feier halt auf später zu verschieben, war es schon zu spät, die Krabben tiefgefroren. Andri schenkte uns kurzerhand zwei Krabben und einige Halsketten. Ich fuhr mit dem Dingi dann nochmals an Land und brachte ihr einige Früchte, die sie in den Tuamotus kaum haben.
Zusammen mit Isabela und Guillermo von der spanischen Yacht «Tin Tin» segelten wir zum südlichen Ankerplatz in der Nähe des Atolleingangs. Der Ankerplatz war allerdings etwas unruhig und wir mussten zusätzlich zur Kette noch Leine stecken, was immer sehr lange dauerte.
Und dies natürlich auch am nächsten Tag, so dass der Anker erst relativ spät wieder an Bord war und wir uns dann entschlossen, zur einfacheren Nordpassage von Fakarava  zu segeln.
Wir schafften es zur guten Zeit durch den Atolleingang und suchten einen guten Ankerplatz in der Nähe von Bäckerei und Kirche. Die Kirche benötigten wir zwar nicht, die Bäckerei hingegen schon. In der Nähe war auch ein Laden von Günters Perlfarm «Hinano», die wir am nächsten Tag zusammen mit weiteren Seglern besuchten. Günther, ein Deutscher, welcher eine hiesige Frau geheiratet hatte, erklärte uns sehr genau, wie die Perlen gezüchtet werden: Zunächst müssen die Muscheln gefangen werden. Dies geschieht mit an riesige Pfeifenputzer erinnernden schwarzen Plastiksträngen. Wenn die Muscheln ausgewachsen sind, werden sie an Land geholt und mit einer speziellen Klammer geöffnet. Dann wird mit chirurgischen Instrumenten eine kleine Perlmutterkugel ins Muskelfleisch gesetzt. Um diese Perlmuttkugel bildet sich dann innerhalb von 18 Monaten eine Perlschicht von etwa 1-3 Millimetern Dicke. Die Muscheln werden dann wieder aus ihren Körben, in welchen sie die letzten 18 Monate auf Seegrund verbracht haben, geholt, geöffnet und die Perlen herausoperiert. Eine Perlmuttkugel in der Grösse der geernteten Perle wird nun neu eingesetzt, damit sich der Vorgang wiederholt. Eine Muschel kann bis zu  viermal eine Perle produzieren. Die Qualität der Perlen ist sehr unterschiedlich – genauso sind natürlich ihre Preise. Perfekte Perlen kosten sehr schnell ein kleines Vermögen, schöne Colliers nicht selten 20'000 Euro. Die Perlen, die ich gekauft hatte waren wohl lediglich Qualität C, im besten Falle vielleicht B. Die Perlen der besten Qualität A gehen offenbar nur an professionelle Händler, wie Robert Wan, der in Papeete sogar ein eigenes Perlenmuseum eingerichtet hat.
Da «Kamaya» und einige andere befreundete Yachten bei der Südpassage von Fakarava ankerten, fuhren auch wir dorthin. Der Wind war leider zu schwach zum Segeln, immerhin war es eine absolut ruhige Fahrt, denn das Wasser war flach wie auf dem Bodensee bei Flaute.

Fakaravas Schnorchel- und Tauchparadies
Über Funk hatten wir schon gehört, dass die Südpassage einmalig zum Schnorcheln und Tauchen sei. Auch Jack, welcher seine 38-er CR Yacht «Anthem» einhand durch die Weltmeere steuerte, hatte von den vielen Haien geschwärmt, welche er gesehen hatte. Etwa ein halbes Dutzend Yachten lagen vor Manihis Ferienressort vor Anker. Mit Manihi gingen wir in der Lagune fischen, seine Frau bereitete von den gefangenen Fischen für die Segler ein leckeres Abendessen – mit Seeschnecken an Knoblisauce als Vorspeise.
«Vor Anker liegen», diese Redewendung, bleibt mir unklar denn, wenn der Anker geworfen ist – ­ auch das ist nicht wirklich ein Werfen, denn wer wollte einen15 bis 30 Kg wiegenden Anker werfen,  sondern ein Hinabgleitenlassen mit Hilfe der elektrischen Ankerwinsch – liegt man jedenfalls von der Windrichtung aus betrachtet immer hinter dem Anker. Sprache und Wirklichkeit sind nicht das Gleiche, einmal mehr! Und ich Depp bemühe mich einmal mehr, die vergangene Wirklichkeit einzufangen, festzuhalten. Nur gut, setzt man sich zu Beginn eines Berichts nicht mit solch sprachphilosophischen Gedanken auseinander, man würde sonst nie mit der Niederschrift beginnen können.
Für die Unterwasser-Realität, welche ich in den nächsten drei Tagen erleben durfte, fehlen mir dann auch noch die Worte. Wer kann es mir verübeln, dass ich für die verschiedensten Fische keine Wörter habe. Klar, es tummelten sich Schwarz- und Weissspitzenhaie, Grauhaie, Muränen, Napoleon-, Trompeten-, Engel-, Kaiser- und weiss der Kuckuck auch Kutscherfische. Und dabei habe ich wohl nicht einmal einen Zehntel der gesehenen Arten erwähnt. Beschreiben könnte ich sie höchstens, indem ich ihre Formen- und Farbenvielfalt aufzählte: Von kugel-, nadel- dreiecks- und  anders- oder unförmigen Fischen; von gesprenkelten, einfarbigen, vielfarbigen, gelben, roten, blauen und grünen Fischen und diese Farben alle in einer unvorstellbaren Mannigfaltigkeit. Nur gut, dass ich alle paar Minuten zum Luftholen wieder auftauchen musste und mich so der Realität vergewissern konnte!
Einmal mehr ist mir das Suchtpotential der Unterwasserwelt klar geworden und hätten wir eine Woche Zeit gehabt, hätte ich hier wohl meinen ersten Tauchkurs absolviert.  Aber einmal mehr drängte die Zeit, bald schon würde Doris in Papeete eintreffen, drei oder vier Tagestörns  waren es noch bis dorthin, unterwegs wollten wir als weiteres Atoll noch Toau besuchen. Da der Wind in den letzten Tagen praktisch ganz eingeschlafen war, mussten wir entweder unter Maschine fahren oder wesentlich mehr Zeit investieren. Unsere Maschinenfahrt zur Nordpassage bei Rotoava wurde dann allerdings plötzlich unterbrochen, Evi hantierte schon nervös an den Dieselfiltern herum, ich setzte die Segel und liess mich mit ungefähr zwei Knoten nordwärts treiben: Verhältnisse wie auf dem Untersee im Sommer!
Die Dieselfilter waren aber ziemlich sauber. Ich schlug vor, den Dieselstand zu kontrollieren, tat dies auch und: Heureka – der Tank war trocken! Zum Glück hatten wir den Motor abgestellt, gleich nachdem er ins Stottern gekommen war. Dadurch mussten wir, nachdem wir die sieben Reserve-Kanister à 20 Liter in den Tank geleert hatten, nicht alles Entlüften (nur den Filter). Nach drei- bis viermaligem Startversuch schnurrte unser mit 32 PS zu kleiner Motor wieder zufrieden.

Von Toau zu den Gesellschaftsinseln
Leider hiess es viel zu früh wieder Abschied nehmen, obwohl ich nach diesen drei herrlichen Tauchgängen doch auch das Gefühl hatte, genug unter dem Wasser gewesen zu sein. Segler fühlen sich über Wasser doch immer besser, und wenn wir für den Einsatz unter Wasser vorgesehen wären, hätten wir Schwimmhäute und Kiemen. Bei mässigem Wind konnten wir teilweise segeln. Das Atoll von Toau wollten wir aus Zeitgründen nur in der ausserhalb gelegenen Anse Amyot besuchen, einer kleinen, aber gut geschützten Bucht auf der Westseite. In der Bucht haben Valentine und Gaston ein gutes halbes Dutzend Bojen gesetzt und führen dort ein kleines, sympathisches Restaurant. Am Abend trafen wir uns dort mit den weiteren Mitgliedern der Cruiserfamilie. John von einer Ketsch aus Tasmanien spielte gut Banjo, begleitet von einem einheimischen Gitarristen und einigen löffelklappernden Seglern. Wir waren am nächsten Tag hin- und her gerissen: should we stay or should we go? Schliesslich entschieden wir uns fürs Gehen, da der Wind noch gut war und wir so mindestens noch mit einem Tag unter Segeln rechnen konnten. Nachher war Flaute prognostiziert, in welche wir am zweiten Tag dann auch gerieten. Bis kurz vor Tahiti liefen wir unter Maschine, wo ich in meiner Morgenschicht kurz nach der Morgendämmerung die Segel wieder setzen konnte, die ich kurze Zeit später in einer kleinen Front wieder reffen musste, dann wieder setzen konnte, bis der Wind schliesslich hinter der Pointe Vénus ganz verschwand. Vor der Hafeneinfahrt folgten wir der langen und mächtigen Hafenmole von Papeete, dem Hauptort auf Tahiti mit dem einzigen internationalen Flughafen von ganz Französisch Polynesien. Nach der Einfahrt in den Hafen folgten wir dem gut markierten Fahrwasser innerhalb des Riffs, welches um den Flughafen herum führte. Auf beiden Seiten der Landepiste musste über VHF-Kanal 12 eine Genehmigung zum Passieren vom Kontrollturm eingeholt werden. Schliesslich fuhren wir zum mit über hundert Yachten belegten riesigen Ankerfeld bei der Marina Taina und suchten einen Ankerplatz. Wieder war unsere kurze Ankerkette ein Problem: An den meisten Orten war das Wasser über 15 Meter tief. Das erste Ankermanöver misslang tüchtig: Der Wind wehte wieder mit gut 20 Knoten, der Anker wurde zu langsam hinunter gelassen, so dass das Boot achterliche Fahrt aufnahm, bevor der Anker sich richtig eingraben konnte. Als Folge slippten wir Richtung eine andere Yacht. Den Anker konnten wir aber nicht mehr bergen, hatte er sich doch an einer Bojenkette verfangen. Diese Boje hatten wir nicht sehen können, sie schwamm unter Wasser. Auch musste ich jetzt ungeheuer aufpassen, dass wir nicht noch den Tampen der Boje in unsere Schraube kriegten. Und das alles lediglich zwei Meter vor der nächsten Yacht. Zwei Segler kamen uns dann mit ihrem Dingi zu Hilfe, so dass wir die Bojenkette vom Anker lösen konnten. Schliesslich ankerten wir rund 50 Meter entfernt relativ dicht unter Land und wie sich erst später herausstellte ziemlich direkt über einem dicken Kanalisationsrohr. 

Im Moloch Verkehr
Ein weiteres Ziel war erreicht, wir waren gespannt, was uns Tahiti und Papeete bieten würden. Politisch gehört Tahiti, wie auch die übrigen Gesellschaftsinseln, die Tuamotus und die Marquesas zum Französischen Übersee-Territorium, und ist somit der EU angegliedert. Dieses ganze, riesige Gebiet wird durch das Hochkommissariat von Französisch-Polynesien mit Sitz in Papeete verwaltet.
Das Augen- und Ohrenfälligste in Papeete war der Verkehr, der sich auf einer vierspurigen Strasse vom und zum Zentrum bewegte. Zehn Minuten von der luxuriösen Marina Taina mit Bars und Restaurants von durchaus europäischem (Preis-) Niveau entfernt befand sich ein Einkaufszentrum mit einem grossen Carrefour. Es war wieder möglich, einzukaufen, was das Herz begehrte. Zudem waren die Preise etwas tiefer als auf den Tuamotus, wo sie bereits tiefer als auf den Marquesas waren; verständlich, wenn man die Transportkosten berücksichtigte. Allerdings freute mich dies weniger, als mich die Verkehrssituation bedrückte: Papeete hat selber zwar unter 30'000 Einwohner, in der gesamten Agglomeration leben aber etwa 100'000 Einwohner mehr, viele aus fernen Inseln, die alle ihr Glück – wohl vergeblich – hier suchen. Und wer es sich leisten kann, der fährt in seinem Privatwagen, auch hier das erste Statussymbol, ins Zentrum. Morgens, mittags und abends führte das zu kilometerlangen Staus. Es gibt von der Marina aus einen Bus, der ungefähr jede halbe Stunde ins Stadtzentrum fährt. Taxifahrten waren uns mit 20 Euro zu teuer.
Für Touristen bietet Papeete eigentlich erstaunlich wenig: Das wohl eindrücklichste ist die Markthalle, die als lebendiger Gemüse-, Früchte-, Fleisch- und Fischmarkt dient und im oberen Stockwerk viele Verkaufsläden für Touristen mit Souvenirs aus ganz Französisch Polynesien beherbergt. Im Stadtzentrum befindet sich auch das Perlenmuseum von Robert Wan, das zwar einen guten Überblick über die Perlenzucht bietet, aber eigentlich nur ein Anhängsel zu seinem luxuriösen Verkaufsladen ist. Das beste Museum ist sicher das Musée de Tahiti et des îles, welches sich gut zehn Kilometer entfernt im Vorort Punaauia befindet und sowohl naturkundliches, historisches als auch ethnologisches Wissen vermittelt.
Evi wollte unbedingt am Pacific Puddle Jump teilnehmen, dessen Regatta ins rund zehn Meilen entfernte Moorea genau an dem Wochenende stattfand, an dem Doris in Papeete ankommen würde. Evi hatte deshalb schon vorher mit Jack von «Anthem» abgemacht, auf seinem Boot an der Regatta teilzunehmen. David und ich würden also die «Wonderland» hüten, ich musste Doris am Sonntagmorgen um 04.00 Uhr am Flughafen abholen. Von Ondine, bei der ich meine in Kauehi gekauften Perlen fassen liess, hatte ich die Telefonnummer von René bekommen, ein zuverlässiger Taxifahrer, wie sie meinte. Er sollte mich kurz vor vier Uhr morgens in der Marina abholen. Und tatsächlich wartete er bereits in der Marina auf mich, denn er habe erfahren, dass das Flugzeug bereits etwas verfrüht eingetroffen sei. Wie sich herausstellte konnte ich mich mit René auf Schweizerdeutsch unterhalten, er ist gebürtiger Strassburger. Ich hatte dann am Flughafen gerade noch Zeit einen der zur Begrüssung der Damen hier üblichen Blumenkränze zu kaufen, bevor Doris erschien.

Rundfahrt um Tahiti Nui und Tahiti Iti
Bei meinen früheren Segeltörns kam mit Doris immer Wind, teilweise auch Starkwind. Diesmal brachte sie den Regen mit: Es goss wie aus Kübeln, so hatte ich die Südsee noch nicht erlebt. Nachdem Doris sich von der Reise etwas erholt hatte, gingen wir deshalb zum Supermarkt, der aber sonntagmittags schloss. Wir warteten dann bis der Regen etwas nachliess und kehrten zum Boot zurück. Eigentlich wollte Evi am Sonntag zurück sein, aber des Regens wegen hatte sich auch das Programm der Regatta verschoben. Nachdem ich Doris das Wenige in Papeete inklusive Rathaus am Montag gezeigt hatte und Evi immer noch auf sich warten liess, beschlossen wir, Tahiti in einem Wagen zu erkunden. David würde in der Zeit an Bord bleiben. Unsere Inselrundfahrt starteten wir vom Flughafen aus im Uhrzeigersinn, assen im Papeete Yachtclub, besuchten dann die Pointe Vénus mit dem Leuchtturm der Bucht von Mahina, wo die frühen Entdecker gelandet waren und heute ein schwarzer Sandstrand zum Bade lädt. Sehenswert waren dann das Luftloch, durch welches vor allem bei hohem Seegang auf der seeabgewandten Seite eine Fontaine in die Höhe schoss und drei Wasserfälle, welche wir auf einem etwa 40-minütigem Fussmarsch besichtigten. Tahiti besteht eigentlich aus einer grossen (Tahiti Nui) und einer kleinen Insel Tahiti Iti), welche allerdings durch eine wenige Kilometer breite Landbrücke miteinander verbunden sind. Auf der Ostseite fuhren wir bis Tautira, allerdings gab es dort wenig zu sehen und Hotels gab es auch keine. Als wir umgekehrt waren und auf der Westseite eine Unterkunft suchten war das nicht ganz einfach. Kurz vor Teahupoo fanden wir einen Wegweiser, der zu einem Hotel in der Höhe führte. Dieses bestand aus traditionell gebauten zweistöckigen Bungalows, à 160 Dollar pro Person und eben weitab von allem. Obwohl es schon dunkel geworden war, beschlossen wir eine günstigere Unterkunft zu suchen. Also fragte ich bei einer Imbissbude an der Strasse. Gleich gegenüber fand sich das nur ungenügend angeschriebene Hotel eines älteren Ehepaares, wo wir ein schönes Zimmer für 40 $ mieteten. Im Hotel trafen wir auf einen italienischen Banker, der seinen Bonus auf diese Art einlöste und als Surf-Fan die Strände um Teahupoo erkundete, wo diesen Herbst die Weltmeisterschaften stattfinden sollten.
Der Hotelbesitzer, der früher für die Franzosen und ihre Atomversuche gearbeitet hatte, zeigte uns in der Nacht noch die Aale im Flüsschen, am nächsten Tag den kleinen und niedlichen Hafen von Teahupoo mit lediglich zwei kurzen Stegen.
Zwei Abstecher am nächsten Tag ins Landesinnere waren unterschiedlich erfolgreich: Den Aussichtspunkt Belvédère noch auf Tahiti Itî fanden wir ohne weitere Probleme und genossen einen wunderbaren Ausblick auf die Landbrücke, welche Tahiti Nui mit Tahiti Itî verbindet. Ganz deutlich waren auch die Riffe zu sehen, welche die Inseln als weisse Streifen umgeben. Hingegen war unserem zweiten Ausflug ins Landesinnere von Tahiti Nui ein schnelles Ende beschieden: Kurz hinter der vielbefahrenen Hauptstrasse bogen wir Richtung Stausee Vahiria ab. Nach wenigen Kilometern war die Strasse allerdings wegen Erneuerungsarbeiten gesperrt. Bevor wir wieder nach Papeete zurück fuhren, besuchten wir noch die renovierte Kultstätte «Marea de Arahurahu», welche bereits mit einer provisorischen Bühne für das Heivafestival versehen war, und das sehr informative «Musée de Tahiti et ses îles».

Abschied in Moorea
Als wir wieder auf der «Wonderland» eintrafen, waren auch Evi und David dort. Während David in der Zwischenzeit erfolgreich einen Rückflug nach Ecuador gesucht hatte, wollte Evi unbedingt noch Papeete besuchen. Um nicht allzu viel Zeit zu verlieren, verlegten wir das Boot zum Stadtzentrum, von wo aus die letzten Erkundigungen und Internetkommunikationen getätigt werden konnten. David würde von Moorea aus nach Papeete und dann via Osterinseln – Santiago – Buenos Aires nach Quito und auf die Galapagos zurückkehren. Die Cook’s Bay, wohin wir in Moorea segeln wollten, war lediglich 15 Meilen entfernt. Sie ist die erste der beiden sehr gut geschützten Ankerbuchten im Norden der Insel, die zweite nur um ein Kap weiter liegende heisst Opunohu-Bucht und ist erstaunlicherweise die Bucht, in welcher Cook ankerte. Die Cook’s Bay hat er von hier aus dann lediglich erforscht. Allerdings blieben wir hinter dem Riff aber vor der eigentlichen Bucht, denn dort gab es zehn bis fünfzehn Fuss seichtes Wasser, was für unsere kurze Kette ideal war. Leider waren die Korallen am Riff praktisch alle abgestorben, die Folge eines eingeschleppten Seesterns, der die Korallen mit einer schleimigen Schicht überzieht, welche die Korallen abtötet. Trotzdem waren noch recht viele Fische zu beobachten.
Eines Tages wurden uns von einem benachbarten Schiff einige Fische geschenkt. Dass wir uns nur beschränkt darüber freuten, hatte einen Grund: Viele der innerhalb des Riffes gefangene Fische machen krank. Ciguatera ist eine Vergiftung und betrifft nur Fische, die innerhalb eines Riffes gefangen werden. Grössere Barracudas bilden eine Ausnahme, denn auch wenn sie sich ausserhalb des Riffs bewegen, können sie befallen sein. Ciguatera kann zu Juckreizen, Hautausschlägen und Erbrechen führen. Die Beschwerden können oft über Wochen anhalten und zeigen häufig eine Umkehr des Kalt-Warm-Empfindens. Tröstend ist höchstens die Tatsache, dass die Letalität bei Menschen unter einem Prozent liegt. Ganz geklärt ist die Ursache nicht, man nimmt aber an, dass sich das Gift zunächst entweder in Geisseltierchen ansammelt oder in Korallenpolypen und von da in die Nahrungskette gelangt. Je grösser also ein Fisch ist, desto giftiger kann er sein. Auch der Rat, man solle Einheimische fragen, bringt nur bedingt Sicherheit, denn fast jeder Einheimische ist früher schon einmal befallen worden. Als ich ein Foto unserer Fische einer Einheimischen zeigte, meinte sie, dies sei ein «guter Fisch». Als ich «Wonderland» verliess, lagen die entsprechenden Filetstücke trotzdem noch im Kühlfach.
Leider war das Wetter in diesen Tagen recht unbeständig und es goss zwischendurch immer wieder mal kräftig. Auch bei unserer Wanderung zum Belvédère-Aussichtspunkt, von wo man einen herrlichen Ausblick auf beide Buchten hat, mussten wir mehrmals unterstehen. Die Wanderung dauerte allerdings etwas länger als geplant und wir wären kaum mehr im Tageslicht zum Dingi zurückgekommen, hätte uns nicht ein französisches Paar in ihrem alten klapprigen Wagen mitgenommen. Sie haben uns sogar bis zum Dingi-Anleger gefahren, welcher sich bei einem seit zehn Jahren leer stehenden Hotel befand und uns ziemlich sicher erschien. Dort musste ich leider feststellen, dass mir der Dingi-Schlüssel zur Hosentasche heraus gerutscht war. Mit einem Stück Schnur konnten wir die Sicherung überlisten und zum Boot fahren, Evi besass zum Glück einen Ersatz.
David von «Jackster» besuchte uns und brachte ein Ersatzteil für den Wassermacher mit, denn er hatte plötzlich kaum mehr Wasser produziert. Nachdem wir allerdings die Filter gereinigt hatten – es war das erste Mal seit Panama – funktionierte er wieder und wir brauchten kein Ersatzteil mehr, respektive mussten dieses nun zurück bringen. Eine längere Fahrt im Dingi innerhalb der Laguna, während der wir einmal aufs Riff liefen, blieb zum Glück ohne Folgen für den Aussenborder.
Nachdem ich David am Morgen des 30. Juni an Land gebracht hatte, wo er in kürzester Zeit eine Mitfahrgelegenheit zur Fähre bekam, verlegten wir «Wonderland» in die Opunohu-Bucht, in der Nähe des Hilton Hotels, wo auch «Jackster» und «Victoria» neben einem Dutzend anderer Yachten lagen. Viele Yachten hatten seit mehreren Tagen darauf gewartet, dass der kräftige Passat etwas nachliess. Als wir schliesslich am Abend des 2. Juli den Anker lichteten, waren es noch vier Yachten, welche nach Huahine segelten. Die Fahrt über Nacht war eine wunderschöne, der Wind nicht zu stark, aber immerhin so gut, dass wir erst kurz vor der Ankunft auf die Maschine zurückgreifen mussten.

Geschäftiges Fare – herrliche Avea-Bucht
Auch die Einfahrt nach Fare, dem Zentrum Huahines, war gut markiert. Die Markierungen der Einfahrten waren in ganz Französisch Polynesien überall sehr gut  und kaum eine war defekt. In Fare ankerten wir zwischen dem Katamaran «McDust» und der Hallberg-Rassy «Dreamtime», zwei Yachten unter Schweizer Flagge.
Uns alle hat der Supermarkt in Fare überrascht, denn er ist einer der best sortierten des ganzen Archipels und zudem kaum hundert Meter vom Anleger entfernt. Für Grosseinkäufe hätte man die Yacht sogar kurz am Pier festmachen können. Vor dem Supermarkt herrschte eine geschäftige Atmosphäre, Frauen verkauften Früchte und Gemüse, die Fischer kamen mir ihren Fängen. Wir wurden Zeuge eines besonderen Fanges: Ein 250 Kilogramm schwerer Marlin wurde von einem kleinen Fischerboot zur Pier geschleppt und dann unter den Augen vieler Experten begutachtet und mit einem Hubstapler an Land gebracht. Innerhalb der Lagune tuckerten wir nach zwei Tagen im markierten Fahrwasser langsam südwärts, wo es gemäss einem französischen Buch eine tolle Bucht gab, welche allein den Aufenthalt in Polynesien lohne. In der Tat war es einer der schönsten Ankerplätze, wieder lagen wir zwischen den beiden Schweizer Yachten. Wohl ein Fingerzeig, dass es schon bald wieder zurückging? Bevor wir nach Tahaa übersetzten, ankerten wir noch einmal in Fare, wo wir in einer grossen Halle den Ausscheidungen in Tanz und Rezitation des diesjährigen Heiva-Festivals beiwohnten. Die Rezitationen waren etwas langatmig, da wir nichts verstanden. Die Tanzchoreographien boten da mehr, auch wenn nicht alle Tänzerinnen dem Schönheitsideal der Südsee entsprachen.

Tahaa – Bora Bora – Raiatea
Unter günstigem Passatwind segelten wir zur östlichen Passage von Tahaa, wo wir in der windigen Haamene Bucht vor dem Hibiskus-Hotel eine Boje belegten. Dafür mussten wir dort lediglich einkehren. Wir wurden von der unter amerikanischer Flagge segelnden Yacht «Puppy» zu einem Drink eingeladen. Natascha und Anatoli stammten aus der ehemaligen Sowjetunion, lebten aber vor Antritt ihrer Segelreise in Los Angeles. Anatoli hat einen deutschen Pass, da er aus einer deutschen Gemeinde in Kasachstan stammte. Laut einer Volkszählung lebten 2003 rund 300'000 Deutsche vor allem im Norden des Landes und im Raum Astana, deren Name nichts anderes als Hauptstadt bedeutet. «Puppy» ist ein kleines Boot und ihre Besitzer besassen nicht viel, aber die Geselligkeit und das Angebot an Getränken waren mancher Megayacht überlegen. Am Anlegeplatz beim Hotel waren in verschiedenen Bassins Schildkröten untergebracht, die für die Freiheit wieder fit gemacht wurden. Besitzer Leon schützt seit Jahren die Schildkröten und konnte schon hunderte von Tieren wieder aufpäppeln und aussetzen, seit er jedem Fischer für in Netzen hängen gebliebene Tiere eine Entschädigung bezahlt.
Einer der schönsten Schläge unter Segeln war dann die Umrundung Tahaas innerhalb der Lagune, ohne Wellen aber mit gutem, achterlichem Passat.
Den grössten Teil zwischen Tahaa und Bora Bora liefen wir unter Maschine, da es doch schon etwas spät war und wir jedenfalls noch bei Tageslicht in Bora Bora ankommen wollten.
Beim Bora Bora Yachtclub waren gerade noch zwei Bojen frei, so dass wir keinen seichten Ankerplatz finden mussten. Der Yachtclub war Anfang Jahres durch ein Unwetter ziemlich zerstört worden und funktionierte erst teilweise: Die Bar war geöffnet, doch weder Restaurant noch Duschen funktionierten. Immerhin gab es am Strand ein Feuer, wo man seine eigenen Grilladen braten konnte. An der Bar trafen wir Hugh Garside, welcher unbedingt ein neues Mannschaftsmitglied brauchte. Er überführte nämlich für Reliance Yachts ein Boot von der Karibik nach Australien. Jetzt war ihm ein Crewmitglied ausgefallen, aus Versicherungsgründen durfte er aber zu zweit nicht weiter. Er meinte, sie bräuchten immer wieder Skipper und ich solle mich doch melden...
Zum Zentrum von Bora Bora, Vaitape,  fuhren wir dann im Dingi, was aber eine etwas nasse Angelegenheit war, blies uns doch der Passat über die mehrere Meilen freie Bucht zwischen der Hauptinsel und Toopua direkt entgegen. Im Hafen mit Anlegeplätzen für die verschiedenen Hotelshuttles konnten wir unser Dingi sicher vertäuen. Bora Bora mit den beiden um 700 Meter hohen Zwillingsbergen, dessen Silhouette schon von Tahaa aus verheissungsvoll Südseeträume geweckt hatte, zeigte nun sein wahre(re)s Gesicht. Boutique nach Boutique, Bijouterien und Souvenirläden sowie Supermärkte und Galerien zogen sich dem die ganze Insel umfassenden schwarzen Asphaltband entlang. Daneben war ein richtiges Zentrum nicht auszumachen. Ein Ort ohne Seele; offensichtlich war dem Mammon, wenn nicht alles, so doch zu viel geopfert worden. Erst als wir beinahe im Zentrum auf einer Naturstrasse Richtung Berg spazierten, fanden wir das Viertel, in dem die Einheimischen lebten und wohin sich keine Touristen verirrten. Das vertraute Krähen der Hähne, welche mit ihren Hennen frei herum stolzierten; Hunde, welche sich auf einem ausgedienten Jetski faul niedergelassen hatten und den Tag verdösten; Kinder, welche sich spielend unterhielten und den Eindringling mal neugierig, mal scheu betrachteten; vom grün der üppigen Natur eingeschlossene Autowracks; all das zog an uns vorbei zwischen und vor den einfachen, vorfabrizierten Häusern, welche sich in verschiedenen Phasen des fortschreitenden Zerfalls präsentierten. Ein Stück weiter oben konnten wir dann endlich den herrlichen Ausblick auf die  Lagune mit ihren  kleinen Inseln sowie das alles umsäumende Riff geniessen.
Für den nächsten Tag – es war der Tag, an welchem auch das Endspiel der Fussballweltmeisterschaft, die um mich weitestgehend einen Bogen gemacht hatte,
stattfinden sollte – waren wir gut vorbereitet: Doris hatte für uns die Spezialbrillen zum Betrachten der Sonnenfinsternis gekauft. Die Sonnenfinsternis war allerdings in Bora Bora nur eine 94-prozentige. Man hätte etwa 30 bis 40 Meilen ins offene Meer hinausfahren müssen, um die totale Sonnenfinsternis zu sehen. Immerhin war sie teilweise sehr gut zu sehen, auch wenn zwischendurch immer mal wieder Wolken vorüber zogen. Um neun Uhr wurde es dann tatsächlich eigenartig finster.
Am nächsten Tag verlegten wir «Wonderland» – nicht ohne vorher noch eine Rundfahrt innerhalb der Lagune gemacht zu haben – an einen Platz auf der Westseite der kleinen Motu Toopua, von dem ich in einem zehn Jahre alten französischen Bootsführer ein wunderschönes Foto gesehen hatte. Leider befand sich genau an der Stelle, wo ich eigentlich den Anker hätte schmeissen wollen, inzwischen ein Bungalow des Hotels Hilton. An herrlichster Lage hatten sie dort auf Betonstelzen zwischen 50 und 100 Zimmer hingeknallt; zur Besänftigung der Gewissen waren sie mit Solarzellen für die Warmwasseraufbereitung versehen. So ankerten wir halt neben dem Hilton und genossen dann dort ein erstklassiges Essen zu Preisen wie sie in der Schweiz üblich sind. Allerdings waren viele Zimmer nicht belegt. Wir hörten immer wieder Klagen, dass der Tourismus in der Südsee um vierzig Prozent eingebrochen sei. Nicht eingebrochen sind bislang allerdings die Preise. Es scheint, dass sich vor allem noch frisch Verheiratete – Liebe macht ja blind – den Spass überteuerter Südsee-Luxus-Ressorts gönnen.
Am nächsten Tag wollte ich unbedingt schnorcheln gehen, hatte ich doch viel von Rochen gelesen, welche in grosser Zahl vorkämen und welche vor den Hotels auch gefüttert würden. Als gegen zehn Uhr einige Touristen in einem Boot eines einheimischen Führers vom Hilton abgeholt wurden, war mir klar weshalb. Wir fuhren in die gleiche Richtung zum Aussenriff: Wieder breitete sich eine vielfältige und -farbige Unterwasserwelt aus. Plötzlich sah ich einen Rochen mit etwa drei Metern Spannweite, dann einen zweiten, plötzlich lagen am Boden ein halbes Dutzend, zunächst nur an den langen Schwänzen erkennbar, da ihre Körper leicht von Sand überdeckt waren.

Über Raiatea zurück
Von Fare aus hatten Doris und ich einen Rückflug nach Papeete gebucht, was uns nun zwang, von Bora Bora aus ostwärts zu fahren. Es waren zwar nur gut 15 Meilen, aber immerhin. Denn gegenan motoren mit einer unterdimensionierten Maschine ist keine angenehme Sache. Wenn dich eine Welle wieder richtig erwischte, sank die Fahrt unter zwei Knoten. «Und mühsam ernährt sich das Eichhörnchen...», pflegte Bootseigner Arnulf jeweils in solchen Momenten zu sagen. Die Marina Iti im Süden Tahaas – Tahaa und Raiatea liegen in einem gemeinsamen Atoll  und haben eine gemeinsame Passage – hatte keine freien Bojen mehr, weshalb wir zur Marina Apooiti in der Nähe des Flughafens fuhren und an einer Boje ausserhalb des Hafens festmachten. Am nächsten Tag verlegten wir die «Wonderland» dann längsseits an den Gästeplatz, was gleich teuer war und Evi es dadurch einfacher haben würde, an Land zu kommen, bis dann ihre Nichte Hannah in einer Woche kam.
Am 14 Juli marschierten wir ins Zentrum von Uturoa, allerdings erst gegen Mittag, denn wir wollten uns auf dem Polizeiposten von der Crewliste nehmen lassen. Ein freundlicher Gendarm erklärte uns dann entgegen der Aussage des Agenten in Papeete, dies sei nicht nötig. Ansonsten war das Zentrum wie ausgestorben. Der 14. Juli, also der Nationalfeiertag, fand nur am Morgen statt. Wir hatten Mühe am Fährhafen eine Bar zu finden, um etwas zu trinken. Auf dem Rückweg spazierten wir noch zu einer weiteren Marina und trafen dort auf einige Bekannte, welche ihre Boote dort hatten. Sie wollten sich am Abend zu einem weiteren Heiva-Festival verabreden, welches auf einem grossen Festgelände beim Hafen stattfand. Da es noch mehr als zwei Stunden dauerte und wir noch einen weiten Fussmarsch vor uns hatten, kehrten wir schon jetzt zurück.
Zudem hatten wir vor, zum Abschied in dem netten kleinen Restaurant bei unserer Marina zu essen, wo wir auch schon am Morgen gewesen waren und deren Pächter oder Besitzer von Savoyen stammten.
Der Transport am nächsten Tag zum Flughafen funktionierte sehr gut, mein übergewichtiges Gepäck wurde anstandslos befördert. Dieses stellten wir am Flughafen von Papeete ein und machten uns auf die Suche nach einer günstigen Bleibe. Das «Hotel», wo wir zwar umgerechnet 50 Dollar bezahlten, war dann allerdings ein ziemliches Loch: Spinnweben überall, durchgerittene Matratzen. Nun, für eine Nacht, was solls!
Vom inbegriffenen Frühstück wollte Doris nichts wissen, nachdem sie die schmuddlige Küche gesehen hatte; wir mussten so oder so schon um 6 Uhr am Flughafen sein, und zu der Zeit kriegte man kein Frühstück. Unser Frühstück kriegten wir dann doch noch, allerdings im Nobelhotel Sofitel, wohin uns Air France im Taxi fuhr, nachdem Doris im überbuchten Flug keinen Platz mehr gekriegt hatte.
Tageshotel mit drei Mahlzeiten und erst noch eine Rückerstattung auf den Flug von 600 Euro; warum nicht, wenn man sich im Aquarium von Papeete in einem Outrigger-Kanu herumsegeln lassen und noch einmal mit vielen Fischen schwimmen und Wracks von Booten und Flugzeug bestaunen kann!

 
von Marius Sax